Archäologischer Irrtum: Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra ist offenbar rund tausend Jahre jünger als bislang angenommen. Statt aus der frühen Bronzezeit stammt sie demnach aus der Eisenzeit und ist damit maximal 2.800 Jahre alt, wie nun neue Analysen der Fundsituation und der Scheibenmotive nahelegen. Damit wäre die Himmelsscheibe nicht mehr die weltweit älteste konkrete Himmelsdarstellung – und auch ihre Interpretation könnte sich verändern.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist einer der berühmtesten Bronzezeitfunde Europas – sie gilt als die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt und gehört zum UNESCO-Dokumentenerbe. Doch was die goldenen Applikationen auf der Bronzescheibe genau bedeuten und wozu die Scheibe einst diente, ist bis heute umstritten. Erschwert wird ihre Einordnung dadurch, dass das wertvolle Fundstück über Raubgräber und dunkle Kanäle in die Hände der Archäologen gelangte. Der genaue Fundort der Himmelsscheibe ist nicht bekannt.
Das Problem der Datierung
Doch ohne den Fundkontext wird auch die Datierung der Himmelsscheibe schwierig. Die Raubgräber gaben an, sie im Jahr 1999 unterhalb der Kuppe des Mittelbergs bei Nebra im Waldboden entdeckt zu haben – zusammen mit bronzezeitlichen Schwertern, Beilen und Armschmuck. Weil die Scheibe selbst nicht ohne weiteres datiert werden konnte, orientierten sich die Archäologen für ihre Altersabschätzung an diesen Beifunden und an Untersuchungen der mutmaßlichen Fundstelle.
„Relevant ist, dass wir naturwissenschaftlich nachweisen können, aufgrund der Erdanhaftungen,
dass die Schwerter, die Himmelsscheibe und die Beifunde zusammengehören. Und dass das alles auch dort perfekt auf den Mittelberg passt“, berichtete damals Harald Meller vom Landesamt für Archäologie von Sachsen-Anhalt. Auf Basis dieser Schlussfolgerungen gingen die Archäologen davon aus, dass die Himmelsscheibe aus der Zeit um 2200 bis 1600 vor Christus stammt – aus der frühen Bronzezeit.
Gehörten Scheibe und Waffen überhaupt zusammen?
Jetzt aber wecken neue Analysen und Auswertungen der bisher zum „Fall Himmelsscheibe“ existierenden Dokumente Zweifel an dieser Lesart, wie Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung München, und Rüdiger Krause von der Goethe-Universität Frankfurt am Main berichten. Sie legen drei Argumentationsstränge vor, die nach ihrer Überzeugung stark gegen die bisherige Datierung und Deutung der Himmelsscheibe von Nebra sprechen.
Ein Indiz dafür sind die Erdanhaftungen an der Scheibe, den Schwertern, Beilen und Armreifen, die angeblich alle aus dem gleichen Hortfund stammen: Dem damals hinzugezogen Experten zufolge gab es sehr wohl deutliche Unterschiede zwischen den Fundstücken. So war die Erde an den Beilen anders als an der Scheibe. Zudem sollte die Himmelsscheibe den Raubgräbern zufolge nahe der Erdoberfläche gefunden worden ein, die Waffen aber deutlich tiefer.
Metalle stimmen nicht überein
Ähnliches zeigen auch Isotopenanalysen der Metalle von Himmelsscheibe und Waffen: „Auffallend ist dabei ein bei der Scheibe festgestellter deutlich erhöhter Zink-Wert, der als eine erste Abweichung zu den übrigen Funden feststellbar ist“, konstatieren die Forscher. Auch bei den Blei-Isotopen bildeten Scheibe und Waffen den Analysen zufolge zwei getrennte Gruppen.
Nach Ansicht von Gebhard und Krause spricht all dies eher dagegen, dass Scheibe und Waffen zu einem gemeinsamen Hortfund gehörten. Deshalb müsse man davon ausgehen, dass sich nicht um eine der typischen Deponierungen der Bronzezeit handelt – und dass der ursprüngliche Ort, an dem die Himmelsscheibe einst vergraben wurde, weiterhin nicht bekannt ist.
Motive typisch für die Eisenzeit
Das aber bedeutet, dass auch das wahre Alter der Scheibe nicht aus den Begleitfunden ablesbar ist – sie muss als Einzelfund unbekannten Ursprungs betrachtet werden, wie Gebhard und Krause erklären. Und hier kommen die Motive auf der Himmelsscheibe ins Spiel: Gerade die Darstellung von Sonne oder Vollmond gemeinsam mit einem Sichelmond und Sternen ist typisch für frühe Eisenzeit, um das erste Jahrtausend vor Christus.
Ganz ähnliche Motive finden sich beispielsweise auf vielen keltischen Münzen aus dieser Zeit, aber auch auf dem sogenannten Kurzschwert von Allach. Dieses zeigt neben dem Vollmond, Sichelmond und Sternen auch einen an beiden Enden betonten flachen Bogen, wie die Archäologen berichten. Dieses Motiv ähnelt den Himmelsbögen auf der Scheibe von Nebra.
„Fasst man diese knappen Ausführungen zusammen, so gehören [Sonne, Vollmond], Sterne, Mond in Verbindung mit Himmelsbögen zum weitverbreiteten Symbolgut des ersten Jahrtausends vor Christus mit dem deutlichen Schwerpunkt in der späten Hallstatt- und Latènezeit“, so Gebhard und Krause.
Tausend Jahre jünger
Nach Ansicht der beiden Archäologen spricht all dies dafür, dass die Himmelsscheibe von Nebra jünger ist als bislang angenommen. Sie stammt demnach nicht aus der frühen Bronzezeit, sondern wahrscheinlich aus der Eisenzeit zwischen 800 und 50 vor Christus. Damit wäre die Himmelsscheibe zwar noch immer ein einzigartiger und wertvoller Fund, aber nicht mehr die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt.
Sollte sich dies bestätigen, muss auch die Interpretation der astronomischen Motive und ihrer Nutzung neu bewertet werden. „Auf Grundlage dieser Gesamteinschätzung müssen sich alle bisherigen weiterführenden kulturgeschichtlichen Schlussfolgerungen und Interpretationen einer künftigen kritischen Diskussion stellen. (Archäologische Informationen, 2020)
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main