Spermien existieren schon seit mindestens 100 Millionen Jahren – das belegen nun in Bernstein konservierte Riesenspermien eines Muschelkrebses. Geschützt vom urzeitlichen Baumharz blieb ein ganzes Knäuel dieser Samenzellen in der Spermientasche eines Krebsweibchens erhalten. Sie sind der mit Abstand älteste Nachweis männlicher Samenzellen überhaupt – und geben neue Einblicke in die Fortpflanzung der Arthropoden.
Spermien sind neben den Eizellen die entscheidenden Akteure bei der sexuellen Fortpflanzung. Denn diese männlichen Keimzellen tragen das väterliche Erbgut in sich und ermöglichen bei der Befruchtung die Verschmelzung mit dem von der Mutter stammenden Genom. Die meisten Tiere nutzen diese Form des Genaustauschs – von der Seeanemone über Arthropoden und Fische bis hin zu Landwirbeltieren.
Genanalysen lassen vermuten, dass es schon in den Anfängen der Tierevolution spermienähnliche Samenzellen gab. Doch fossile Belege für urzeitliche Spermien sind rar: Die bislang ältesten Exemplare stammten von einem 50 Millionen Jahre alten Ringelwurm.
Im Bernstein konserviert
Das hat sich nun geändert. Denn He Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und seine Kollegen haben in einem Bernsteinstück aus Myanmar gut doppelt so alte Spermien entdeckt. Sie stammen von einem urzeitlichen Muschelkrebs, der vor rund 100 Millionen Jahren von Baumharz eingeschlossen und konserviert wurde. Diese winzigen Krebstiere mit zweiklappigen Schalen kommen bis heute in fast allen Gewässern vor und werden oft als Fossilien gefunden.
Doch der aktuelle Fund sticht heraus. Denn dank des Bernsteins sind auch die Weichteile der Muschelkrebse erhalten geblieben. Mithilfe der Röntgenmikroskopie erstellten die Forscher computergestützte 3-D-Rekonstruktionen des Innenlebens dieser Krebse – und machten damit Details ihrer winzigen Gliedmaßen, aber auch feinste Strukturen ihrer Fortpflanzungsorgane sichtbar. „Das war eine überaus seltene Möglichkeit, etwas über die Evolution dieser Organe zu erfahren“, sagt Koautorin Renate Matzke-Karasz von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Krebsweibchen mit Eiern und Spermien
Ein Krebsweibchen entpuppte sich als besonderer Fund. Denn es trug nicht nur vier Eier in seinem Hinterleib, sondern hatte auch ein Knäuel männlicher Samenzellen in seiner Spermientasche. „Diese in unserem fossilen Exemplar erhaltenen Spermien sind damit der mit Abstand älteste Nachweis eines tierischen Spermiums überhaupt“, konstatieren Wang und sein Team. Mit 100 Millionen Jahren sind sie gut doppelt so alt wie die Wurmspermien.
„Unsere Entdeckung unterstreicht die Fähigkeit des Bernsteins, selbst die in anderen Fossilfundstätten selten gefundenen Weichteile zu konservieren“, sagen die Forscher. Gleichzeitig illustriere der Fund, dass sich die komplizierten Fortpflanzungsorgane der Muschelkrebse seit 100 Millionen Jahren kaum verändert haben. Noch nie ließ sich ein derart alter und raffinierter evolutionärer Mechanismus in den Funden in so vielen Details dokumentieren, so die Wissenschaftler.
Spermien länger als der Körper
Spannend auch: Muschelkrebse gehören zu den wenigen Tierarten, die extrem große Spermien produzieren. Ihre Riesenspermien können manchmal sogar zehnmal länger sein als ihr ganzer Körper. Aber auch von einigen Motten, Wasserwanzen und Fröschen sind unverhältnismäßig große Spermien bekannt. Die Produktion und der Transport dieser Samenzellen ist für diese Tiere entsprechend aufwändig.
Der Fund der fossilen Riesenspermien unterstreicht nun, dass sich dieser Aufwand offenbar auch langfristig lohnen kann. Denn die Muschelkrebse praktizieren diese Art der Fortpflanzung schon seit mindestens 100 Millionen Jahren. „Das ist ziemlich beeindruckend für ein Merkmal, das sowohl von Männchen als auch von Weibchen eine so beträchtliche Investition erfordert. Sexuelle Fortpflanzung mit Riesenspermien muss also evolutionär gesehen durchaus vorteilhaft sein“, sagt Matzke-Karasz.
Tatsächlich ist es vermutlich kein Zufall, dass manche Tiere übergroße Spermien produzieren. Günstig ist es demnach vor allem für kleine Spezies, bei denen sich die Weibchen direkt nacheinander mit mehreren Männchen paaren. Hier sind größere Spermien im Vorteil, weil sie ihre Konkurrenten wegdrängen und sicherer ans Ziel kommen. Bei großen und auch bei monogamen Tierarten hingegen ist es vorteilhafter, viele, dafür aber „billige“ Spermien ins Rennen zu schicken. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2020; doi: 10.1098/rspb.2020.1661)
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München