Entgegen gängiger Lehrmeinung können Weiße Blutkörperchen aktiv schwimmen, statt nur zu kriechen oder zu driften. Die Lymphozyten nutzen paddelartige Ausstülpungen ihrer Membran, um sich in Blut oder Lymphe vorwärts zu bewegen, wie Beobachtungen enthüllen. Wie in einer Art Fließband werden diese „Paddel“ am Vorderende erzeugt, nach hinten transportiert und dann wieder resorbiert. Dies werfe ein ganz neues Licht auf die Bewegung von Säugetierzellen, so die Forscher.
Bakterien tun es, Amöben und auch menschliche Spermien: All diese Zellen können schwimmen. Einige nutzen dafür bewegliche Geißeln, andere verformen ihren Zellkörper so, dass Schub entsteht. Anders sieht es mit den Zellen unseres Körpers aus: Gängiger Annahme nach können sie nur passiv mit dem Flüssigkeitsstrom mitgetragen werden, aber nicht aktiv schwimmen. Aktive Bewegung – beispielsweise bei Krebszellen oder Abwehrzellen wie den weißen Blutkörperchen – ist dagegen nur durch Kriechen auf festen Oberflächen möglich – so jedenfalls die Lehrmeinung.
Aktive Fortbewegung auch ohne Bodenkontakt
Doch das ist ein Irrtum, wie nun Laurene Aoun von der Universität Aix-Marseille und ihre Kollegen herausgefunden haben. Sie sind der Frage auf den Grund gegangen, wie sich Weiße Blutkörperchen fortbewegen. Dafür gaben sie Lymphozyten in spezielle Mikrokanäle, deren Boden mit einer glatten, abweisenden Schicht überzogen war. Dadurch war ein normales Kriechen der Zellen nicht möglich – dennoch kamen die Weißen Blutkörperchen voran.
Aber wie? Weitere Beobachtungen bestätigten, dass die Lymphozyten sich vorwärtsbewegten, obwohl ein dünner Wasserfilm zwischen ihnen und der Oberfläche lag. In ergänzenden Versuchen kamen sie sogar voran, wenn keine feste Oberfläche in der Nähe war. „Aktive Zellen erreichten dabei eine Geschwindigkeit von 8,9 Mikrometern pro Minute“, berichten Aoun und ihr Team. Das sei deutlich mehr als bei einer bloß passiven Drift.
„Damit liefern wir experimentelle Belege dafür, dass Weiße Blutkörperchen schwimmen können“, konstatieren die Wissenschaftler.
„Brustschwimmen“ und wellenartige Verformung
Entgegen gängiger Annahmen sind die Immunzellen demnach sehr wohl dazu fähig, sich aktiv und unabhängig von festen Oberflächen in Blut oder Lymphe fortzubewegen. Um herauszufinden, welche Technik diese Zellen zum Schwimmen nutzen, setzen die Forscher spezielle Mikroskopietechniken ein, die die Bewegung der Zellen, aber auch die Vorgänge in ihrem Inneren beleuchteten.
Sie enthüllten: Die Lymphozyten verformen sich beim Schwimmen aktiv und scheinen fast eine Art „Brustschwimmen“ zu vollführen. Dabei bilden sich an ihrem Vorderende paddelartige Vorsprünge, die dann nach hinten wandern und dort wieder verschwinden. Diese wellenartigen Bewegungen der Zellmembran, kombiniert mit ringförmigen, ebenfalls nach hinten wandernden Einschnürungen treiben das Weiße Blutkörperchen vorwärts.
Paddel-Recycling ermöglicht das Dauerschwimmen
Wie die Forscher feststellten, bestehen die Paddel aus in der Zellmembran verankerten Proteinen, die an der Innenseite mit Aktinfilamenten verbunden sind. Diese Verankerung am steifen Zellgerüst verleiht den Proteinpaddeln den nötigen Halt gegenüber dem Widerstand der umgebenden Flüssigkeit. Gleichzeitig ermöglicht die Kontraktion des Aktingerüsts die Bewegung dieser Paddel.
Um den Nachschub der aktingebundenen Proteine sicherzustellen, verpackt der Lymphozyt sie an seinem Hinterende in kleine Membranbläschen – Vesikel – und transportiert sie durch das Zellinnere wieder nach vorn, wie Aoun und ihr Team beobachteten. Dort werden die Proteine dann erneut ausgestülpt und ein neuer Paddelzyklus beginnt. „Damit enthüllt unsere Studie einen ganz neuen Typ von Mikroschwimmern“, sagen sie.
So schwimmt ein Weißes Blutkörperchen © SoSPIM microscopy: L. Aoun, O. Theodoly, M. Biarnes, R. Galland
Neuer Blick auf die Bewegung von Säugetierzellen
Das bedeutet: Entgegen gängiger Lehrmeinung können demnach zumindest einige Säugetierzellen nicht nur aktiv schwimmen, sie bewegen sich auch auf eine zuvor unbekannte Weise. Diese ermöglicht es den Weißen Blutkörperchen und wahrscheinlich auch anderen Zellen, sich im menschlichen Körper effektiv und unabhängig von festen Unterlagen vorwärtszubewegen.
„Lymphozyten könne sich dadurch mit der gleichen Technik durch unterschiedlichste Mikroumgebungen bewegen“, erklären die Forscher. Denn auch wenn diese Zellen auf einer festen Unterlage wie einer Gefäßwand zu kriechen scheinen, nutzen sie in Wirklichkeit ihre Paddeltechnik, wie die Experimente enthüllten. Dadurch müssen die Weißen Blutkörperchen nicht erst ihre Bewegungsform „umschalten“, wenn sie zum Schwimmen wechseln – das macht ihre Fortbewegung effektiver. (Biophysical Journal, 2020; doi: 10.1016/j.bpj.2020.07.033)
Quelle: Cell Press