Biologie

Geheimnis des australischen Stechbaums gelüftet

Gympie-Baum erzeugt ähnliches Neurotoxin wie Giftspinnen und Kegelschnecken

Brennhaare des GYmpie-Baums
Der mit unseren Brennnesseln verwandte "Stinging Tree" in Australien löst bei Berührung seiner Brennhaare ungewöhnlich starke, anhaltende Schmerzen aus. © Institute for Molecular Bioscience/ University of Queensland

Toxische Parallelen: Ein giftiger Baum in Australien nutzt ganz ähnliche Toxine zur Abwehr von Fressfeinden wie Giftspinnen und Kegelschnecken. Die mit den Brennnesseln verwandten „Stinging Trees“ enthalten einer neuen Studie zufolge ein Nervengift, das auf die gleichen Schmerzrezeptoren wirkt wie die tierischen Toxine. Es ist der erste Beleg für ein solches Gift bei einer Pflanze. Trotz ihrer Ähnlichkeit entwickelten sich die Toxine der Pflanzen und der Tiere vermutlich aber unabhängig voneinander.

Der australische Stinging Tree (Dendrocnide excelsa) – von den Einheimischen auch Gympie genannt – ist in den Wäldern des australischen Bundesstaats Queensland zu finden und erreicht eine Höhe von bis zu dreißig Metern. Die Blätter und Stiele dieses zu den Brennnesseln gehörenden Baums sind dicht mit Brennhaaren bedeckt. Bei Berührung übertragen sie ein Gift, das zu starkem Juckreiz sowie akuten, meist stundenlangen Schmerzen oder sogar Atemnot führt. Auch nach Wochen oder sogar Monaten können die Folgen noch zu spüren sein.

Warum schmerzt das Gympie-Sekret so stark?

Was die Ursache für die ungewöhnlich starken Schmerzen bei der Berührung der stechenden Bäume sein könnte, war bisher ein Rätsel. Zwar wusste man, dass die Drüsenhaare des Baums ähnlich wie andere Brennnesselarten Histamine, Acetylcholin und Ameisensäure enthalten, die das Brennen und Jucken auslösen. Sie allein aber können die schweren, anhaltende Schmerzen nicht erklären.

Was aber ist es dann? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat ein Forscherteam um Edward Gilding von der University of Queensland Pflanzenproben der giftigen Bäume unter die Lupe genommen. „Uns interessierte, ob es Neurotoxine gibt, die diese Symptome erklären könnten“, sagt Gildings Kollegin Irina Vetter. Dafür analysierten die Wissenschaftler die chemische Zusammensetzung der Brennhaare mittels Flüssig-Chromatografie und untersuchten die Molekülproduktion der Zellen durch Analysen der Boten-RNA – den vom Erbgut abgelesenen „Bauplänen“ für die Moleküle.

Brennhaare produzieren ein Nervengift

Die Analysen enthüllten: Der Gympie-Baum erzeugt tatsächlich ein Nervengift in seinen Brennhaaren. In ihren Analysen identifizierten die Forscher bisher unbekannte Peptide, die für die Giftwirkung verantwortlich sein müssen. Diese nach dem Spitznamen des giftigen Baumes benannten „Gympietide“ ließen sich in großen Mengen in den Brennhaaren zweier eng verwandter Arten dieser Giftpflanzen nachweisen.

Und die Forscher gewannen noch eine weitere Erkenntnis über die Neurotoxine des Giftbaums: „Obwohl die Gympietide von einer Pflanze kommen, sind sie in der Art ihrer dreidimensionalen Molekularstruktur und ihrer Wirkung an den Schmerzrezeptoren den Giftstoffen von Spinnen und Kegelschnecken sehr ähnlich“, erklärt Vetter. Der Gympie-Baum produziert damit ähnliche Nervengifte wie einige der giftigsten bekannten Tiere.

Ähnlichkeiten zu tierischen Giftstoffen

Was genau hinter den Molekülen steckt, erforschten die Wissenschaftler anhand eines Tierversuchs: Sie injizierten dafür geringe Dosen künstlich synthetisierter Gympietid-Peptide in die Hinterpfoten von Mäusen. Und tatsächlich verursachte die Injektion ein auffälliges Verhalten bei den Nagern: Für etwa eine Stunde lang begannen sie die betroffene Pfote zu lecken, zu beißen und zu schütteln – ein klarer Hinweis auf Schmerzen.

Mikroskopische Untersuchungen zeigten, dass die Peptide schmerzempfindliche Neuronen im Körper aktivierten. Durch den Einfluss des Gympie-Gifts schließen sich die Natriumkanäle der Neuronen verzögert. Darin sehen die Forscher den Grund für die anhaltenden Schmerzen: Die Gympietid-Peptide verändern dauerhaft die Aktivität der Natriumkanäle in den sensorischen Neuronen und erzeugen so die Schmerzreize.

Das Forscherteam hat damit die erste Giftpflanze entdeckt, die die Natriumkanäle von Neuronen beeinflusst. „Das macht den Gympie-Baum zu einer wirklich giftigen Pflanze“, so Vetter.

Entstehung noch ungeklärt

Die ähnliche Wirkungsweise der tierischen Giftstoffe und der Peptide des Stinging Tree, warfen eine neue Frage auf: Wie kam es zu der Entstehung dieser pflanzlichen Giftstoffe? Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten für die Evolution der Toxine in den außergewöhnlichen Bäumen: Entweder stammen die Giftstoffe von einem alten, gemeinsamen Vorfahren der Tiere und Pflanzen oder es handelt sich um eine konvergente Evolution.

In diesem Fall wäre das Gift bei den Tieren wie auch bei der Pflanzengattung im Verlauf der Stammesgeschichte unabhängig voneinander entstanden, weil es für beide Organismengruppen in ihren Lebensräumen gleichermaßen einen Überlebensvorteil bedeutete. Dieses Szenario halten Gilding und ihr Team für das wahrscheinlichere. „Mit der Ähnlichkeit ihrer 3D-Struktur zu tierischen Giftstoffen, die die gleichen Schmerzrezeptoren angreifen, repräsentieren die Gympietide ein bemerkenswertes Beispiel für eine konvergente Evolution über die Organismenreiche hinweg“, konstatieren sie.

Unklar bleibt allerdings, ob sich die speziellen Peptide der australischen Stachelbäume vorrangig als eine Verteidigung gegen Menschen und andere Säugetiere entwickelten oder auch andere evolutive Vorteile hatten.

Ansatz für neue Therapien?

Doch die Untersuchungsergebnisse sind auch ein Hoffnungsträger: „Mit dem Verständnis darüber, wie das Gift wirkt, hoffen wir bessere Behandlungen für diejenigen, die von der Pflanze gestochen wurden, zu liefern, um die Schmerzen zu lindern oder zu beseitigen“, sagt Vetter. „Wir können die Gympietide auch als Vorbild für neue Therapeutika zur Schmerzlinderung nutzen.“ (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.abb8828)

Quelle: University of Queensland

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