Forscher haben das Gesicht eines vor 2.000 Jahren in Ägypten gestorbenen Kindes rekonstruiert – und seine Todesursache ermittelt. Demnach starb drei- bis vierjährige Junge an einer Lungenentzündung und wurde anschließend mumifiziert. Die Gesichts-Rekonstruktion enthüllt zudem, dass das damals übliche Totenportrait den wahren Gesichtszügen des Jungen durchaus nahekommt. Nur Nase und Lippen sind entsprechend den damals üblichen Idealen verändert.
Mumien bieten wertvolle Einblicke in das Leben und Sterben der Menschen im alten Ägypten. Denn dank der Einbalsamierung sind viele Tote aus dieser Kultur nahezu perfekt erhalten. Ihre Mumien verraten ihre Krankheitsgeschichte, ihre Verwandtschaften und erlauben sogar die Rekonstruktion ihrer Stimme. Auch altägyptische Mordfälle haben Forscher schon durch die Analysen der einbalsamierten Körper aufgeklärt.
Eine Kindermumie aus dem antiken Ägypten
Jetzt klärt eine ägyptische Kindermumie eine weitere Frage der Archäologie. Es handelt sich um einen kleinen Jungen, der vor rund 2.000 Jahren im Alter von drei bis vier Jahren starb. Nach seinem Tod wurde sein rund 78 Zentimeter großer Körper einbalsamiert und kreuzweise in lange Leinenbinden eingewickelt. Er wurde nahe der Pyramide von Hawara, einer südlich von Kairo liegenden Nekropole bestattet. Dort entdeckten Archäologen die Kindermumie und brachten sie 1912 ins ägyptische Museum in München.
Entsprechend den Sitten im antiken Ägypten war die Mumie mit einem Abbild des toten Kindes geschmückt. Typischerweise platzierte man ein auf Holz gemaltes Portrait des Toten auf dessen Gesicht. „Das Mumienportrait zeigt einen Jungen mit lockigem, in zwei Stränge geflochtenem Haar“, berichten Andreas Nerlich von der Klinik München Bogenhausen und seine Kollegen. „Das Kind hat demnach große braune Augen, eine lange, dünne Nase und einen kleinen Mund mit vollen Lippen.“
Moderne Gesichtsrekonstruktion für eine alte Mumie
Doch zeigt dieses Portrait wirklich das Gesicht des toten Kindes? Oder handelt es sich um eine eher symbolische und wenig individuelle Darstellung? Für die gräco-ägyptischen Totenportraits war diese Frage bislang strittig. Deshalb haben Nerlich und sein Team nun die Anatomie der Kindermumie mithilfe computertomografischer Aufnahmen analysiert. Diese enthüllten unter anderem, dass der kleine Junge an einer Lungenentzündung gestorben ist.
Wie das Kind vor seinem Tod aussah, rekonstruierte anschließend ein Experte auf diesem Gebiet mithilfe der anatomischen Daten und Angaben zu typischen Gewebedicken von Kindern in diesem Alter. Um unbewusste Beeinflussungen auszuschließen, bekam er das antike Totenportrait erst hinterher zu sehen. Die Wissenschaftler konnten so vergleichen, wie ähnlich das Portrait dem wahren Aussehen des kleinen Jungen ist.
Portrait und wahres Gesicht stimmen überein
Das Ergebnis: „Wir haben große Übereinstimmungen zwischen beiden gefunden – sowohl beim rein optischen Vergleich als auch in den biometrischen Werten“, berichten Nerlich und sein Team. Demnach gab das Totenportrait entscheidende Proportionen des Gesichts, beispielsweise der Abstand von Nase und Mund oder die Höhe der Stirn, perfekt wieder. Die Abmessungen waren exakt identisch. Demnach besaß der kleine Junge eine eher hohe Stirn, große Augen und einen eher großen Abstand zwischen Nase und Mund.
„Das Portrait zeigt demnach tatsächlich das Gesicht dieses toten Jungen“, konstatieren die Forscher. Statt eines Symbolbilds handelt es sich um eine individuelle und durchaus lebensechte Darstellung des Kindes. „Das bedeutet, dass dieses Bild entweder noch zu Lebzeiten des Jungen fertiggestellt wurde oder dass man es kurz nach seinem Tod anfertigte, bevor der Körper einbalsamiert wurde“, erklären Nerlich und seine Kollegen.
…mit leichten künstlerischen Freiheiten
Allerdings: In einigen Punkte gab es auch feine Unterschiede zwischen Totenportrait und wahrem Gesicht. Die Nase des Jungen war im Bild schmaler dargestellt und auch der Mund war kleiner als in Wirklichkeit. Zudem erscheint der tote Junge im Bild einige Jahre älter – er ähnelt eher einem sechs bis siebenjährigen Kind als seinem wahren Alter von drei bis vier Jahren. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Idealisierungen den künstlerischen Schönheitsidealen der damaligen Zeit entsprachen.
„Unsere Studie ist die erste, die die Gesichtsrekonstruktion einer Kindermumie aus dem antiken Ägypten mit seinem Totenportrait vergleicht“, sagen Nerlich und sein Team. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass zumindest in diesem Fall das Portrait eine durchaus realistische Darstellung des Verstorbenen zeigt.
Nur ein Einzelfall oder die Regel?
Ob dies allerdings auch für die rund 1.000 bisher entdeckten Totenportraits aus dem antiken Ägypten gilt, bleibt offen. „Da wir bisher nur diesen einen Fall untersucht haben, muss nun ermittelt werden, ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt oder ob dies ein generelles Phänomen war“, konstatieren die Forscher. „Weitere Studien werden das hoffentlich klären.“ (PLOS ONE, 2020; doi: 10.1371/journal.pone.0238427)
Quelle: PLOS ONE