Es ist kein Zufall, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern beim Nobelpreis besonders häufig leer ausgegangen ist: die Theoretiker. Selbst wenn ihre Erkenntnisse noch so bahnbrechend und fundamental waren – in der Regel reichte das allein nicht. Selbst Albert Einstein bekam nie einen Nobelpreis für seine Relativitätstheorie. Stattdessen erhielt er 1921 die Auszeichnung für seine Entdeckung und Beschreibung des photoelektrischen Effekts – die Interaktion von Licht mit Materie.
Oft ist erst der Nachweis entscheidend
Einer der Gründe dafür ist die Neigung des Nobelpreis-Komitees, bei ihrer Auswahl experimentelle Leistungen zu bevorzugen – diese Errungenschaften sind schlicht einfacher nachvollziehbar und in ihrer Bedeutung einzuordnen. Viele theoretische Vorhersagen und Modelle gelten zudem erst dann als bewiesen, wenn sie auch experimentell bestätigt wurden.
Jüngstes Beispiel dafür ist der erste Nachweis von Gravitationswellen im Jahr 2016 durch die Physiker der LIGO- und Virgo-Kollaboration. Obwohl diese Erschütterungen der Raumzeit und ihre Entstehungsprozesse schon 100 Jahre zuvor durch Albert Einstein postuliert wurden, gab es den Nobelpreis erst bei ihrem Nachweis.
Higgs-Boson: Für Brout kam die Entdeckung zu spät
Ähnlich war dies beim Higgs-Boson: Schon in den 1960er Jahren grübelten Physiker über die Frage, was den Elementarteilchen ihre Masse verleiht. 1964 dann kamen Peter Higgs, sowie Robert Brout und Francois Englert zu dem Schluss: Es musste eine bisher unbekannte Art von Feld geben, mit dem diese Teilchen wechselwirken und so ihre Masse erhalten. Gab es jedoch dieses „Higgs-Feld“, dann musste es auch ein dazu gehörendes Teilchen geben.
Doch zunächst blieb das Higgs-Boson reine Theorie. Erst im Jahr 2012 gelang es Physikern am Forschungszentrum CERN, das lange gesuchte Teilchen im Teilchenbeschleuniger LHC nachzuweisen. Damit waren nun auch die drei Entdecker des Higgs-Mechanismus nobelpreiswürdig – theoretisch. Denn für Robert Brout kam der Nachweis zu spät – er war 2011 gestorben. Deshalb erhielten nur seine beiden noch lebenden Kollegen im Jahr 2013 den Physik-Nobelpreis.
Hawking: Bahnbrechend und doch nobelpreislos
Und noch ein theoretischer Physiker ist leer ausgegangen: Stephen Hawking. Der 2018 gestorbene britische Wissenschaftler gilt als einer der herausragenden Kosmologen und Physiker der jüngsten Zeit. Neben bedeutenden Überlegungen zur quantenphysikalischen Basis des Urknalls und der kosmischen Inflation verdanken wir ihm entscheidende Einblicke in das Verhalten und Wesen Schwarzer Löcher.
Hawking postulierte unter anderem, dass auch Schwarze Löcher eine Art Strahlung aussenden. Diese Hawking-Strahlung entsteht, weil Quantenfluktuationen ständig Paare aus virtuellen Teilchen und Antiteilchen erzeugen. Diese löschen sich im All normalerweise aus, wenn aber einer dieser Partner hinter dem Ereignishorizont liegt, wird das außen liegende Teilchen angestrahlt. Hawkings Theorie zufolge kann diese Strahlung sogar dazu führten, dass sehr kleine Schwarze Löcher mit der Zeit schrumpfen und sich komplett in Strahlung auflösen.
Obwohl Hawkings Erkenntnisse heute fester Teil des kosmologischen und astrophysikalischen Weltbilds sind, hat auch er keinen Nobelpreis bekommen. Zwar haben Forscher kürzlich die Hawking-Strahlung indirekt nachgewiesen, dennoch fehlt für viele seiner Theorien der astronomische oder experimentelle Beweis. Mit seinem Tod hat Hawking endgültig alle Chancen auf den Preis verloren.
Ein ähnliches Schicksal teilten einige frühe Pioniere der theoretischen Physik wie Henri Poincaré, Satyendra Nath Bose, nach dem heute die Bosonen bekannt sind, und Arnold Sommerfeld, einer der Väter der Quantentheorie. Er wurde 74 Mal nominiert, bekam den Nobelpreis aber nie.