Einzigartiger Fund: Archäologen haben im Schädel eines jungen Römers aus Herculaneum erstmals menschliche Gehirnzellen in verglastem Zustand entdeckt. Die Gluthitze des Vulkanausbruchs und eine schnelle Abkühlung ließen die Neuronen nahezu intakt erstarren. Dadurch blieben die Zellstrukturen und sogar einige der neuronalen Proteine fast 2.000 Jahre lang konserviert, wie nun nähere Analysen enthüllen.
Der Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 ist eine der bekanntesten Naturkatastrophen der Antike. Die Glutlawinen des Vulkans trafen die römischen Städte Pompeji und Herculaneum und brachten nahezu allen Bewohnern einen fast instantanen Tod. Meterhohe Aschenschichten schlossen die Toten ein und konservierten so ihre Leiber und Positionen für die Nachwelt. Ihre Überreste geben einen einzigartigen Einblick in den Alltag und das Leben zu jener Zeit, spiegeln aber auch die dramatischen Ereignisse am Tag der Eruption wieder.
Verglastes Gewebe im Schädel eines jungen Römers
Aber nicht nur das: Die Asche des Vesuv hat sogar einen der wichtigsten und fragilsten Teile des menschlichen Körpers konserviert, wie sich nun zeigt: die Gehirnzellen. „Neuronale Gewebe sind besonders seltene archäologische Funde“, erklären Pier Paolo Petrone von der Universität Neapel Federico II und seine Kollegen. Normalerweise bleiben solche Gewebe nur erhalten, wenn die Strukturen verseifen – die im Gehirn enthaltenen Fette zerfallen dabei zu Fettsäuren und Glycerin.
Doch schon im Januar 2020 entdeckten Petrone und sein Team etwas Ungewöhnliches im Schädel eines jungen Mannes, der in Herculaneum schlafend vom Ausbruch des Vesuv überrascht worden war. „Im Schädel dieses Ausbruchsopfers entdeckten wir Überreste des Gehirns, die verglast statt verseift waren“, berichten die Forscher. Das Hirngewebe war zunächst bei hohen Temperaturen verkohlt, dann aber so schnell abgekühlt, dass die Struktur zu einer harten, glasähnlichen Masse erstarrte.
Selbst einzelne Neuronen sind erhalten
Jetzt belegen neue Analysen, dass in der verglasten Hirnsubstanz des jungen Römers sogar einzelne Neuronen erhalten sind. Unter dem Elektronenmikroskop sind die typischen Formen von Hirnzellen zu erkennen, die über lange, dünne Fasern miteinander verbunden sind. Wie die Wissenschaftler erklären, sind diese dünnen Fasern mit nur 550 bis 830 Nanometer Durchmesser zu klein, um Blutgefäße zu sein – es muss sich um die Nervenfortsätze der Neuronen handeln.
„Schon der Nachweis von Hirngewebe in alten menschlichen Überresten ist ein ungewöhnliches Ereignis“, sagt Petrone. „Aber noch seltener ist die Konservierung von Neuronen für mehr als 2.000 Jahre – und das in einer beispiellosen Auflösung.“ In den Zellkörpern der Neuronen lassen sich sogar noch interne Strukturen wie Vesikel, Filamente und Membranen erahnen.
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass der einzigartige Verglasungsprozess, der durch den Ausbruch ausgelöst wurde, die Zellstrukturen des Zentralnervensystems dieses Opfers gewissermaßen ‚eingefroren‘ und bis heute intakt gehalten hat“, sagt Petrone.
Typische Hirn-Proteine nachweisbar
Dass es sich wirklich um Gehirnzellen handelt, bestätigten auch chemische Analysen. Denn obwohl diese Gewebe hohen Temperauren ausgesetzt waren, konnten Petrone und sein Team in ihnen noch einige Proteinreste nachweisen. Der Vergleich mit einer Proteindatenbank ergab, dass diese alle im menschlichen Gehirn vorkommen und teilweise als Neurotransmitter fungieren. Auch Fettsäuren, die für menschliches Hirngewebe typisch sind, wiesen die Forscher nach.
„Alle von uns identifizierten Gentranskripte sind in den verschiedenen Teilen des Gehirns vorhanden, beispielsweise in der Großhirnrinde, im Kleinhirn oder im Hypothalamus“, fügt die Neurogenetikerin Maria Giuseppina Miano vom Nationalen Forschungszentrum in Neapel hinzu. Auf Basis der Lage und Struktur der verglasten Gewebe vermuten die Wissenschaftler, dass vor allem der hintere Schädelteil mit dem Kleinhirn und dem Beginn des Rückenmarks erhalten geblieben ist.
Damit eröffnet das Gehirn des jungen Mannes aus Herculaneum einen einzigartigen molekularen Blick auf ein antikes Gehirn. „Der bislang einzigartige Verglasungsprozess in Herculaneum hat die neuronalen Strukturen dieses Vulkanopfers eingefroren und bis heute intakt erhalten“, sagt Petrone. Er und sein Team hoffen, dem antiken Schädel in weiteren Untersuchungen noch mehr Geheimnisse entreißen zu können. (PLOS ONE, 2020)
Quelle: Universitá degli Studi di Napoli Frederico II.