Astronomie

Tod durch Spaghettisierung

Astronomen beobachten, wie ein Stern von einem Schwarzen Loch zerrissen wird

Tidal Disruption Event
Kommt ein Stern einem Schwarzen Loch zu nahe, wird er verformt, zerrissen und in dünne Materiefäden ausgezogen. © ESO/ M. Kornmesser

Sternentod am Schwarzen Loch: Astronomen haben erstmals mitverfolgt, wie ein sonnenähnlicher Stern von einem supermassereichen Schwarzen Loch zerrissen wird. Der Stern wurde dabei in dünne Materiefäden zerrissen – spaghettifiziert – und dann vom Schwerkraftgiganten verschlungen. Etwa die Hälfte des stellaren Materials endete im Schwarzen Loch, die andere bildete eine verhüllende Wolke aus Staub und Gas.

Im Jahr 2014 konnte ein Stern im Herzen der Milchstraße seinem Tod gerade noch entgehen: Er näherte sich dem zentralen Schwarzen Loch unserer Galaxie, wurde nicht zerrissen. Doch nicht alle Sterne haben so viel Glück. Einige kommen einem solche Schwerkraftgiganten so nahe, dass die gewaltigen Gezeitenkräfte den Stern auseinanderreißen.

„Wenn ein unglückseliger Stern zu nahe an ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie wandert, zerreißt die extreme Anziehungskraft des Schwarzen Lochs den Stern in dünne Fäden aus Materie“, erklärt Koautor Thomas Wevers von der University of Cambridge. Der Stern wird gewissermaßen „spaghettisiert“. Sichtbar wird dieses „Festmahl“ eines supermassereichen Schwarzen Lochs durch starke Strahlenausbrüche, die über Millionen Lichtjahre hinweg zu sehen sind.

Eine ferne Sonne wird zerrissen

Was bei einem solchen „Tidal Disruption Event“ passiert, haben Astronomen nun nah und detailreich wie nie zuvor beobachtet. Das AT2019qiz getaufte Ereignis wurde am 29. September 2019 von einem automatisierten, auf kurzlebige kosmische Ereignisse spezialisierten Teleskop detektiert und gemeldet. Wenig später hatten auch andere Teleskope den Strahlenausbruch im Visier, der rund 215 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Eridani aufleuchtete.

Über sechs Monate hinweg konnte das Team um Wevers und Erstautor Matt Nicholl von der University of Birmingham das Geschehen am fernen Schwarzen Loch in verschiedenen Wellenbereichen des Lichts mitverfolgen. „Die Beobachtungen zeigten, dass der Stern ungefähr die gleiche Masse wie unsere eigene Sonne hatte und dass er etwa die Hälfte davon an das schwarze Loch verlor, das über eine Million Mal massereicher ist“, sagt Nicholl.

Erst Aufleuchten, dann Verdunkelung

Zu Beginn des Ereignisses dehnte die starke Gravitation des Schwarzen Lochs die Photosphäre des Sterns auf und erzeugte starke Ausströme von Sternenmaterial. Dieses wurde dem Stern mit bis zu 10.000 Kilometer pro Sekunde entrissen, wie die Spektralanalysen ergaben. Aus ihren Daten schließen die Astronomen, dass der Stern rund 75 Prozent seiner Masse durch diese Spaghettifizierung verloren hat.

Die vom sterbenden Stern abgesaugte Materie verursacht durch ihre Beschleunigung und die Interaktion mit der Schwerkraft des Schwarzen Lochs einen hellen Strahlenausbruch, der im Laufe mehrere Tage deutlich zunimmt. Nach einem Peak schwächt sich diese Strahlenemission jedoch deutlich ab. „Etwa um die maximale Helligkeit herum sinkt auch die Temperatur plötzlich ab“, berichten die Forscher.

„Einzigartiger Blick hinter den Vorhang“

Was diese Abdunklung verursacht, konnten die Astronomen erstmals genauer beobachten. „Weil wir ihn früh erwischt haben, konnten wir beobachten, wie sich ein Vorhang aus Staub und Trümmern aufbaute, als das Schwarze Loch den mächtigen Ausstoß von Material auslöste“, sagt Koautorin Kate Alexander von der Northwestern University in Evanston. „Dieser einzigartige Blick hinter den Vorhang bot uns die erste Chance, den Ursprung des verhüllenden Materials zu bestimmen.“

Die Beobachtungen bestätigen die Hypothese, dass der Ausstrom von Materie aus dem Stern für diesen Kokon von Sternentrümmern erzeugt. Gleichzeitig liefern sie die Erklärung dafür, warum Tidal Disruption Events zwar optisch hell leuchten, aber oft nur schwache Röntgenstrahlung aussenden: Diese Strahlung wird vom Kokon geschluckt.

Wie das Ende des Sterns am Schwarzen Loch ablief.© European Southern Observatory (ESO)

Rätsel um die fehlende Energie

Die Beobachtung von AT2019qiz könnte auch dabei helfen, das sogenannte „Problem der fehlenden Energie“ aufzuklären. „Dieses beruht darauf, dass die bei den meisten Tidal Disruption Events beobachtete Leuchtkraft von bis zu 10 hoch 51 Erg mehrere Größenordnungen unter dem liegt, was eigentlich an Energie beim Ansaugen eines beträchtlichen stellaren Massenanteils durch das supermassereiche Schwarze Loch freiwerden müsste“, so Nicholl und seine Kollegen.

Einer Hypothese nach geht diese Energie größtenteils in die Beschleunigung der Materie-Ausströme aus dem sterbenden Stern. „Doch das ist nicht genug. um die fehlenden Energiemengen zu erklären, sagen die Forscher. Zudem passten die Beobachtungen bei AT2019qiz nicht dazu. Eine andere Erklärung wäre, dass die Restenergie nicht direkt beim Ausbruch, sondern erst in dessen Nachgang freiwird: „AT2019qiz könnte den Rest der erwarteten Energie abstrahlen, indem es immer nur ein paar Prozent an Sonnenmassen pro Jahr ins Schwarze Loch akkretiert“, mutmaßen die Astronomen.

„Rosetta-Stein“ für andere Ereignisse dieser Art

Ob das stimmt, sollen nun weitere Beobachtungen zeigen: „Die Nähe von AT2019qiz macht es zu einer idealen Quelle, um diese Szenarien durch kontinuierliche Überwachung zu testen“, so Nicholl und sein Team. Ihrer Ansicht nach könnte AT2019qiz daher sogar als „Rosetta-Stein“ für die Interpretation künftiger Beobachtungen solcher Tidal Disruption Events dienen. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2020; doi: 10.1093/mnras/staa2824)

Quelle: European Southern Observatory (ESO), University of Birmingham

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