Beutefang mittels Infrarotsehens: Bislang war unklar, wie das Grubenorgan der Schlangen ihnen das Infrarotsehen ermöglicht. Jetzt könnte ein neues Modell dieses Fähigkeit erklären. Demnach wirken die Zellen im Grubenorgan wie ein pyroelektrisches Material – sie wandeln Wärme in Elektrizität um und erzeugen so die elektrischen Signale dieses Sinnesorgans. Ob und wie genau dieser Prozess im Grubenorgan der Schlangen abläuft, müssen nun Experimente klären.
Schlangen sind gefürchtete Räuber im Tierreich – sie beißen meist so schnell zu, dass ihre Beute kaum eine Chance hat. Bestimmte Arten – wie beispielsweise die Grubenotter, Boa Constrictor und Pythons – sind zudem in der Lage, mittels Infrarotsehen ihre Beute selbst in der Dunkelheit mit enormer Genauigkeit zu fangen. Fossile Funde belegen, dass es schon vor Millionen Jahren Schlangen gab, die mit ihrem Infrarotblick selbst kleinste Temperaturschwankungen wahrnehmen konnten.
Schlangenarten, die im Dunkeln jagen, besitzen dazu sogenannte Grubenorgane – von einer dünnen Membran umschlossene Hohlkammern – am Ober- und Unterkiefer: Diese Sinnesorgane sind mit Infrarotrezeptoren ausgestattet und vermitteln den Tieren ein dreidimensionales Wärmebild ihrer Umgebung. Die Infrarotstrahlen von Organismen wandeln die Reptilien in elektrische Signale um, sodass sie unter anderem ihre Beute in der Dunkelheit „sehen“ können.
Wie wandeln Schlangen die Infrarotstrahlen um?
Aber wie wandeln die Zellen innerhalb des Grubenorgans die Wärmestrahlung in Elektrizität um? Dieser Frage ist ein Forscherteam um Faezeh Darbaniyan von der University of Houston auf den Grund gegangen. Die Forscher wussten bereits, dass harte, spröde Gewebe wie Kristalle pyroelektrische Eigenschaften haben: Sie können Wärme in Elektrizität umwandeln. Aber tierische Gewebe sind eigentlich zu weich für diese Form der Wärmeumwandlung.
„Die Zellen im Grubenorgan sind keine pyroelektrischen Materialien“, bestätigt Darbaniyans Kollege Pradeep Sharma. „Wir könnten die Infrarot-Erfassung von Schlangen erklären, wenn sich ein hartes, pyroelektrisches Material in ihrem Grubenorgan befände, aber niemand hat je eines gefunden.“ Deshalb untersuchten die Forscher mithilfe eines theoretischen Modells, ob es nicht doch einen Weg gibt, wie auch weiche organische Materialien pyroelektrisch wirken können.
Auch weiches Material kann pyroelektrisch wirken
Und tatsächlich: Wie die Wissenschaftler mithilfe ihres Modells feststellten, müssten sich auch die Zellen im Grubenorgan der Schlange wie ein pyroelektrisches Material verhalten. „Unsere Lösung ist täuschend einfach“, erklärt Sharma.
Die entscheidende Voraussetzung ist demnach, dass sich statische elektrische Ladungen in dem Material bilden und halten können – in diesem Fall im Gewebe des Grubenorgans. „Dann muss man dafür sorgen, dass das Material weich genug ist, dass es in Form und Größe große Verformungen zulässt und temperaturempfindlich ist“, erklärt Sharma. Denn diese temperaturbedingten Verformungen bringen dann die statischen Ladungen in Kontakt miteinander und erzeugen so die elektrischen Signale.
Wie die Wissenschaftler ausgerechnet haben, würden die geringen, vom Grubenorgan der Schlangen aufgefangenen Wärmemengen ausreichen, um eine solche pyroelektrische Reaktionen in den Zellen des Organs auszulösen. Sie haben bereits damit begonnen, dieses System im Labor mit künstlichen Materialien nachzubauen.
Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungen
„Wir sind ziemlich sicher, dass wir zumindest einen Teil des Mechanismus, wie diese Schlangen in der Dunkelheit sehen können, aufgedeckt haben“, sagt Sharma. Wie genau die pyroelektrische Reaktion in den Geweben und Zellen der Schlange funktioniert, muss nun aber noch untersucht werden. Frühere Studien legten bereits nahe, dass bestimmte Ionenkanäle in der Membran der Grubenorgan-Neuronen eine wichtige Rolle für deren Funktion spielen. Ob diese Kanäle auch am pyroelektrische Effekt beteiligt sind, ist jedoch unklar.
Noch sind also weitere Laborexperimente nötig, um zu bestätigen, ob der Mechanismus des Forscherteams wirklich in den Zellen der Membran des Grubenorgans stattfindet. „Jetzt, da wir ein Modell dafür entwickelt haben, können andere Wissenschaftler daran ansetzen und Experimente durchführen, um unsere Theorie zum Infrarotsinn der Schlangen zu bestätigen oder zu widerlegen“, sagt Sharma. (Matter, 2020, doi: 10.1016/j.matt.2020.09.023)
Quelle: University of Houston, Cell Press