Spannender Fund: Nahe einer verlassenen US-Militärbasis im Nordwesten Grönlands haben Forscher die Relikte eines Urzeit-Sees aufgespürt. Das riesige Sedimentbecken ist rund 7.100 Quadratkilometer groß und liegt heute unter 1,8 Kilometer dickem Eis verborgen. In Grönlands warmer Vergangenheit aber lag dieser See frei. Seine Ablagerungen könnten daher einzigartige Zeugnisse der Lebenswelt zu jener Zeit bergen.
Grönland ist heute von einem mehrere Kilometer dicken Eispanzer bedeckt. Er speist die Küstengletscher und beherbergt zahlreiche subglaziale Seen und Schmelzwasserströme. Sogar ein gewaltiger Canyon ist tief unter dem Grönland-Eis verborgen. Doch die arktische Insel war nicht immer so eisig: Vor mehr als 2,5 Millionen Jahren könnte sie noch weitgehend eisfrei gewesen sein und auch in der Zeit danach durchlebte Grönland immer wieder wärmere, zumindest teilweise eisfreie Zeiten.
Doch wann genau Grönland zuletzt eisfrei war und welche Lebenswelt sich damals in dieser Region tummelte, ist bislang weitgehend unbekannt. Die kilometerdicke Eiskruste macht es schwer, Fossilien und andere Relikte aus dieser Zeit zu finden.
Riesiges Becken unter dem Eis
Jetzt jedoch könnten Forscher eine Zeitkapsel aus Grönlands wärmerer Vergangenheit entdeckt haben: die Relikte eines großen urzeitlichen Sees. Eigentlich wollten Guy Paxman und sein Team von der Columbia University in New York nur den Eisschild im Nordwesten Grönlands genauer kartieren. Dafür werteten sie Radardaten der NASA-Mission IceBridge aus, aber auch Schwerefeld- und Magnetmessungen.
Dabei stießen sie ganz in der Nähe der ehemaligen US-Militärbasis Camp Century auf eine auffallende Struktur: Der Gesteinsuntergrund bildete dort ein ausgedehntes Becken mit einer steileren Kante im Nordosten und einem flacher abfallenden Ufer im Südwesten. Die Radardaten ergaben, dass dieses Becken rund 7.100 Quadratkilometer umfasst und 160 Kilometer lang ist.
Sediment am Grund eines Paläo-Sees
Doch worum handelte es sich? Als die Forscher die Schwerefeldmessungen auswerteten, zeigte sich auch in der Zusammensetzung des Untergrunds eine Auffälligkeit: Während das umgebende Terrain von hartem Granitgestein dominiert wird, war das Becken mit weniger dichtem Material gefüllt – mit Sediment. Dieses muss sich im Laufe von hunderttausenden Jahren am Grund eines einstigen Sees oder Binnenmeeres abgelagert haben.
Das aber bedeutet: Dort, wo heute kilometerdickes Eis den Untergrund bedeckt, muss es früher einen riesigen, eisfreien See gegeben haben. Dieser wurde von mindestens 18 Zuflüssen an seinem Nordende gespeist, im Süden dagegen leitete ein größerer Fluss das Wasser Richtung Küste ab, wie topografische Radardaten zeigen. Paxman und sein Team schätzen, dass dieser Paläo-See einst zwischen 50 und 250 Meter tief war.
Gewässer aus einer eisfreien Zeit
Das Camp-Century-Becken ist der erste Fund eines Paläo-Sees, der eisfreier Zeit entstand und dann dauerhaft unter Eis begraben wurde. Wann genau dieser See offen lag, ist allerdings bislang unklar: „Das im Becken erhaltene Sediment könnte aus der Zeit vor der ausgedehnten Vergletscherung Grönlands stammen oder auch aus einer oder mehreren Zwischeneiszeiten danach“, erklären die Forscher.
Klar ist nur, dass es damals in Nordwestgrönland warm und feucht genug gewesen sein muss, um den See und sein Flussnetzwerk zu bilden. Damit jedoch könnten der Paläo-See und seine Sedimente ein einzigartiges Zeugnis der Lebenswelt Grönlands vor seiner Vereisung sein, so Paxman und sein Team. In den vom Eis geschützten Ablagerungen könnten Pollen, Fossilien und auch chemische Signaturen aus dieser lebensfreundlicheren Ära konserviert sein.
Bohrkerne könnten einzigartige Informationen liefern
Doch wie alt der See wirklich ist und was einst in ihm lebte, ließe sich nur feststellen, wenn man Sedimentproben direkt aus dem urzeitlichen Seegrund entnimmt. Dafür allerdings müsste man erst die 1,8 Kilometer dicke Eisdecke durchbohren – keine leichte Aufgabe. „Im Moment ist diese Urzeit-Landschaft komplett verborgen und unzugänglich“, sagt Paxman.
Unmöglich ist eine Erkundung zumindest mittels Bohrkernen jedoch nicht: Bereits 1990 haben Wissenschaftler im Rahmen des Greenland Ice Core Project (GRIP) in Zentralgrönland die drei Kilometer dicke Eisdecke bis zum Felduntergrund durchbohrt. „Das Camp- Century-Becken könnte nun ein wichtiger Standort für zukünftige Bohrungen bis unter das Eis sein“, sagen die Forscher. „Die Sedimentschichten könnten wertvolle Einblicke in die klimatologische, glaziologische und Umweltgeschichte Grönlands liefern.“ (Earth and Planetary Science Letters, 2020; doi: 10.1016/j.epsl.2020.116647)
Quelle: Earth Institute at Columbia University