Kein Ladenhüter: Als der große Gelehrte Isaac Newton im Jahr 1687 sein Hauptwerk „Principia“ veröffentlichte, legte er den Grundstein für die klassische Physik. Bisher allerdings war unklar, wie verbreitet dieses Werk damals war. Jetzt haben Historiker hunderte verschollene Exemplare der Erstausgabe der „Principia“ aufgespürt – das Werk wurde demnach weit häufiger gedruckt und auch gelesen als zuvor angenommen.
Ob die Prinzipien der Mechanik, die Bahnen der Planeten oder die Wirkungsweise der Schwerkraft: Die physikalischen Gesetze von Isaac Newton bilden bis heute die Grundlage der klassischen Physik. Von ihm stammen so fundamentale Erkenntnisse wie der Impulserhaltungssatz, das Trägheitsprinzip oder auch die Fähigkeiten von Kräften, sich zu überlagern. Und trotz Einsteins Relativitätstheorie und neuer Erkenntnisse in der Quantenphysik haben viele dieser Newtonschen Gesetze ihre Gültigkeit behalten.
Die Principia und ihre Erstausgabe
Die Basis für seinen Ruhm legte Isaac Newton im Jahr 1687 mit der Veröffentlichung seines Hauptwerks „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“, kurz „Principia“. In diesem dreibändigen und gut 600-seitigen Buch legte der britische Gelehrte seine Ansichten und sein Wissen zu Mathematik, Mechanik und Astronomie dar. Dazu gedrängt hatte ihn der Astronom Edmond Halley, der auch bei der Finanzierung des Drucks half.
„Wir wissen heute einiges über die Geschehnisse rund um die Ausarbeitung und den Druck der Principia“, erklären Mordechai Feingold vom California Institute of Technology und Andrej Svorencik von der Universität Mannheim. „Aber unser Wissen um die Größe der Auflage, ihre damalige Verbreitung und Rezeption ist nur sehr bruchstückhaft.“ Bei Auktionen werden Erstausgaben der Principia heute je nach Zustand für hunderttausende bis einige Millionen Euro gehandelt.
Die letzte Erhebung im Jahr 1953 spürte 189 noch erhaltene Exemplare der Erstausgabe auf. Aber schon damals vermuteten Historiker, dass deutlich mehr Exemplare dieses Werks gedruckt worden sein müssen.
Mehr Exemplare als gedacht
Deshalb haben Feingold und Svorencik erneut eine weltweite Suche nach Erstausgaben von Newtons Principia durchgeführt. Zehn Jahre lang fahndeten sie in historischen Dokumenten wie Auktionskatalogen, Kaufbelegen und Briefen nach dem Verbleib der Exemplare. „Wir haben uns manchmal wie Sherlock Holmes gefühlt“, erzählt Feingold.
Das Ergebnis: Den beiden Historikern gelang es, insgesamt 387 Exemplare der Principia in 27 Ländern aufzuspüren – 200 davon waren zuvor unbekannt. Bis zu 200 weitere Kopien könnten undokumentiert in öffentlichen und privaten Sammlungen erhalten sein. Sogar einige gestohlene Exemplare konnten die Forscher wiederfinden. So entdeckten sie bei einem Buchhändler in Italien ein Exemplar, das ein halbes Jahrhundert zuvor aus einer deutschen Bibliothek gestohlen worden war.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sprechen ihre Funde dafür, dass im Jahr 1687 weit mehr Kopien der Principia gedruckt wurden als bislang angenommen.
„Stadtgespräch“ statt unverständliches Nischenwerk
Und noch eine Annahme erweist sich als Irrtum: Lange galt Newtons Hauptwerk als viel zu komplex und schwer verständlich, um für eine breitere Leserschaft interessant gewesen zu sein. Höchstens einige Mathematiker, so glaubte man, hätten die Principia gekauft und gelesen. „Das wurde gestützt von Anekdoten und Geschichten über Leser, die von dem Inhalt des Werks völlig verwirrt waren“, berichten Feingold und Svorencik.
Doch historische Dokumente zeigen etwas anderes. Demnach war die Principia so etwas wie ein Bestseller. Sie wurde in Rezensionen ausführlich besprochen und in vielen Briefen von Zeitgenossen Newtons kommentiert – auch unter Nichtmathematikern. Als im Jahr 1704 Newtons Werk „Optik“ erschien, kommentierte der englische Astronom John Flamsteed: „Dieses Werk ist nicht so sehr Stadtgespräch wie die Principia.“
Untereinander weitergereicht
Und auch in den Erstausgaben selbst finden sich Hinweise auf eine engagierte und zahlreiche Leserschaft: „Wenn man sich die Bücher anschaut, dann findet man oft kleine Notizen am Rand, die einem verraten, wie es gelesen wurde“, erklärt Svorencik. „Von den 231 Exemplaren, zu denen wir Zugang hatten, hatten 45 zahlreiche Randnotizen, 61 wiesen zumindest einige solcher Anmerkungen auf.“ Viele dieser Notizen stammten zudem von verschiedenen Lesern.
„Das deutet darauf hin, dass die Bücher weitergereicht wurden“, erklärt Feingold. „Man kann davon ausgehen, dass jedes Exemplar mehrfach von verschiedenen Leuten gelesen wurde.“ Das deute daraufhin, dass die Principia und ihre Inhalte verbreitet und populär waren. „Die Erstausgabe der Principia erreichte eine viel breitere Leserschaft als traditionell angenommen – sowohl in England als auch im Ausland“, konstatieren die Wissenschaftler. (Annals of Science, 2020; doi: 10.1080/00033790.2020.1808700)
Quelle: California Institute of Technology