Ernüchterndes Gedankenspiel: Wenn alle Bestäuber-Insekten plötzlich wegfielen, würde die Weltwirtschaft auf einen Schlag Billionen US-Dollar einbüßen – der Verlust entspräche rund ein bis zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland könnte uns ein völliger Kollaps der Tier-Bestäubung rund 3,8 Milliarden Euro pro Jahr kosten, wie Forscher errechnet haben. Dies verdeutlicht, welche Leistungen die Bestäuber weltweit erbringen – und wie unverzichtbar sie sind.
Ohne sie gäbe es viele Obstsorten und Gemüse nicht und zahlreiche Pflanzen blieben unfruchtbar: Tierische Bestäuber wie Bienen, Käfer, Schmetterlinge, aber auch Kolibris und Fledermäuse spielen für die Landwirtschaft und Vegetation eine entscheidende Rolle. Denn erst sie beringen Pollen von einer Pflanze zur anderen und ermöglichen so die Ausbildung von Früchten und Samen. Doch gerade den wichtigsten Bestäubern, den Insekten, geht es schlecht: Ihre Bestände schrumpfen sowohl in Deutschland als auch weltweit.
Globalen Wegfall aller Bestäuber-Tiere simuliert
Doch was wäre, wenn es keine Bestäuber-Tiere mehr gäbe? Das haben nun Christian Lippert und seine Kollegen von der Universität Hohenheim in einer Modellsimulation untersucht. In dieser ermittelten sie, welche kurz- und langfristigen Auswirkungen der schlagartige Wegfall aller bestäubenden Tiere auf die Landwirtschaft, die Wirtschaft allgemein und die Verbraucher in Deutschland und weltweit haben würde.
Dabei berücksichtigten die Forscher auch, in welchem Maße die verschiedenen Nutzpflanzen auf die Tierbestäubung angewiesen sind. So verdanken wir bei Äpfeln und Kirschen beispielsweise rund 65 Prozent des Ertrags der Bestäubung durch Tiere, bei manchen Gemüsepflanzen wie dem Kürbis sind es sogar 95 Prozent. Getreidearten wie Weizen und Reis sind dagegen Wind- oder Selbstbestäuber und benötigen daher keine Fremdbestäubung.
Einbußen von ein bis zwei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung
Die Simulation ergab: Der globale Komplettausfall der Tier-Bestäubung würde der Weltwirtschaft spürbare Verluste zufügen. „Je nach der Preiselastizität würden die kurzfristigen Verluste durch den Bestäuber-Wegfall zwischen einem und zwei Prozent des globalen Bruttoninlandsprodukts entsprechen“, berichten Lippert und sein Team. Als Referenzwert dienten ihnen dabei die Erträge und Gewinne der Jahre 2016 bis 2018.
Im Szenario des kompletten Bestäuber-Wegfalls käme es zu starken Ernteausfällen, der landwirtschaftliche Ertrag würde sinken und in der Folge steigen dann die Preise. „Die Landwirte können geringere Erträge bis zu einem gewissen Grad durch höhere Preise kompensieren. Aber der Verbraucher verliert auf jeden Fall, da er die gestiegenen Preise bezahlen muss“, erklärt Lippert. „Deswegen wäre in jedem Fall der größte Teil des volkswirtschaftlichen Verlusts von den Verbrauchern zu tragen.“
Verlust in Deutschland bei 3,8 Milliarden Euro
Für Deutschland wären die wirtschaftlichen Einbußen ebenfalls erheblich: Hierzulande würde die Wirtschaft bei einem Wegfall aller bestäubenden Insekten im Schnitt rund 3,8 Milliarden Euro pro Jahr verlieren. Besonders betroffen wären die Erträge bei Äpfeln, Erdbeeren und Kirschen, aber auch bei Bohnen, Gurken und Tomaten. Bei der Öl- und Energiepflanze Raps gäbe es ebenfalls sehr deutliche Ernteeinbußen.
Diese Einbußen gelten vor allem kurzfristig, für das Jahr nach dem Bestäuber-Wegfall, wie die Forscher betonen. Denn langfristig könnte sich die Landwirtschaft durch eine Umstellung der Anbaupraktiken, der Pflanzenarten oder auch durch Zucht von Bestäuber-unabhängigen Sorten anpassen. „So könnten in der Landwirtschaft beispielsweise verstärkt selbst- und/oder windbestäubte Sorten angebaut werden“, erklärt Lippert.
Tatsächliche Schäden noch weit höher
Nach Ansicht der Wissenschaftler demonstrieren ihre Simulationen, wie wichtig Bestäuber-Tiere nicht nur für die Ökologie, sondern auch für die Wirtschaft und Gesellschaft sind. Zwar ist ein abrupter Kollaps wie in den Szenarien eher unrealistisch, weil die Bestäuberzahlen eher schleichend zurückgehen. „Aber diese Rückgänge der Bestäuberpopulationen und die möglichen Folgen für die Nahrungsmittelproduktion verstärken die Notwendigkeit, ihre Ökosystem-Dienstleistungen auch wirtschaftlich zu beziffern“, so die Forscher.
Allerdings betonen sie auch, dass ihre Kalkulationen nur einen unvollständigen Näherungswert darstellen: „Natürlich können wir so nicht alle ökologischen Auswirkungen eines solch katastrophalen Ereignisses auf die Umwelt und den Menschen erfassen, die weit über die bloßen Schäden durch einen geringeren Ertrag hinausgehen“, so Lipperts Kollege Manuel Narjes. „Aber solche Schätzungen können das Bewusstsein für die Bedeutung intakter Ökosysteme schärfen und so einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten.“ (Ecological Economics¸2020; doi: 10.1016/j.ecolecon.2020.106860)
Quelle: Universität Hohenheim