Medizin

Frühe Gabe von Antibiotika kann Folgen haben

Antibiotikaeinnahme im Kleinkindalter könnte Risiko für Asthma, Allergien und ADHS erhöhen

Krankes Kind
Wenn Kleinkinder krank werden, bekommen sie häufig Antibiotika. Das aber kann möglicherweise Spätfolgen nach sich ziehen © Aynur_sib/ iStock.com

Späte Nebenwirkung: Bekommen schon Kleinkinder Antibiotika, könnte dies später ihr Risiko für eine Reihe von Erkrankungen erhöhen, wie eine Studie nun nahelegt. Demnach sind die Betroffenen anfälliger für Allergien, Asthma oder Neurodermitis, aber auch für neurophysiologische Störungen wie ADHS. Eine mögliche Ursache für diesen Effekt könnte die Störung der frühkindlichen Darmflora sein, wie die Forscher berichten.

Antibiotika sind wichtige Waffen gegen bakterielle Infektionen – schaden aber gleichzeitig auch unserer Darmflora. Denn sie beseitigen nicht nur Krankheitserreger, sondern auch die nützlichen Helfer im Mikrobiom, die unser Immunsystem und unser Gehirn stärken, die Verdauung regeln und sogar unsere Stimmung beeinflussen.

Studien deuten zudem daraufhin, dass die Einnahme von Antibiotika gerade für Kleinkinder langfristige Folgen haben kann: Weil die Darmflora in unseren ersten Lebensjahren heranreift, kann sie in dieser Phase leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Dies wiederum kann zum Beispiel Allergien oder Asthma fördern.

Welche Folgen haben frühkindliche Antibiotikagaben?

Während frühere Studien die Auswirkungen von Antibiotika nur auf einzelne Krankheiten untersuchten, hat nun ein Forscherteam um Zaira Aversa von der US-amerikanischen Mayo Clinic erstmals den Zusammenhang der bakterientötenden Mittel mit einer Vielzahl an potenziell mit der Darmflora verknüpften Krankheiten erforscht. Dabei ermittelten die Wissenschaftler etwa das Risiko für Störungen der Verdauung, des Immunsystems und auch des Verhaltens.

Sie untersuchten dafür die Gesundheit von 14.500 Kindern, die zwischen 2003 und 2011 in den US-Bundesstaaten Minnesota und Wisconsin geboren wurden. 70 Prozent der Mädchen und Jungen hatten in ihren ersten beiden Lebensjahren mindestens ein Antibiotikum erhalten – hauptsächlich gegen Infektionen der Atemwege oder der Ohren. Die Forscher verglichen, ob diese Kinder später häufiger an Asthma und Allergien, Neurodermitis, ADHS, Übergewicht oder Zöliakie litten als nicht mit Antibiotika behandelte Kinder.

Höheres Risiko für immunologische Erkrankungen

Das Ergebnis: „Wir stellten fest, dass Kinder, die in den ersten zwei Lebensjahren mit gängigen Antibiotika wie Penicillin, Cephalosporinen und Macroliden behandelt wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit Asthma und allergischen Schnupfen entwickelten“, berichten Aversa und ihre Kollegen. Auch das Risiko für Neurodermitis, Nahrungsmittelallergien und Zöliakie war signifikant erhöht.

Dabei erhöhte sich das Risiko dosisabhängig, wie die Forscher berichten: Je häufiger und höherdosiert die Kinder Antibiotika erhalten hatten, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie später an einer oder mehrerer dieser Erkrankungen litten. „Wir vermuten, dass die Antibiotika solche Immunkrankheiten durch eine Störung des Mikrobioms während einer entscheidenden Entwicklungsphase fördern“, sagen die Wissenschaftler.

Dazu passt, dass insbesondere Verschreibungen innerhalb der ersten sechs Lebensmonate das Risiko für Spätfolgen erhöhten. Daraus schließen die Forscher, dass eine frühe Schädigung des Mikrobioms im Darm dauerhaft bestehen bleiben kann – auch lange nach der Einnahme des Antibiotikums.

Möglicher Einfluss auch auf neurophysiologische Störungen

Neben den Immunerkrankungen könnte die frühe Antibiotikagabe aber auch neurophysiologische Folgen haben, denn auch dafür wird ein Zusammenhang mit dem Mikrobiom diskutiert. „Wir haben signifikante Zusammenhänge zwischen Antibiotikaeinnahmen in den ersten beiden Lebensjahren und ADHS bei beiden Geschlechtern festgestellt“, berichten Aversa und ihr Team. „Zudem beobachteten wir ein signifikant erhöhtes Risiko für Autismus und Lernstörungen, aber nur nach Gabe von Cephalosporinen.“

Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum einige frühere Studien ebenfalls einen Zusammenhang zwischen früher Antibiotikagabe und neurophysiologischen Entwicklungsstörungen festgestellt hatten, andere aber nicht: In vielen Studien wurde bisher nicht zwischen den Antibiotikaklassen unterschieden. Es sei daher sinnvoll, künftig die spezifischen Folgen der einzelnen Antibiotikaklassen näher zu untersuchen.

Antibiotika nur, wenn unbedingt nötig

Wie die Forscher betonen, zeigen ihre Ergebnisse zunächst nur Korrelationen, beweisen aber noch keinen ursächlichen Zusammenhang. Dennoch halten sie es für plausibel, dass die frühe Störung des Mikrobioms durch Antibiotika solche langfristigen Folgen nach sich ziehen kann. „Die zunehmende Häufigkeit von Erkrankungen, die bereits in der Kindheit beginnen, löst Besorgnis hinsichtlich der Antibiotika-Einnahmen während wichtiger Entwicklungsphasen aus“, sagt Koautor Martin Blaser von der Rutgers University in New York.

„Die Ergebnisse sollten die Praxis der Ärzte in Bezug auf die Häufigkeit der Verschreibung von Antibiotika verändern, insbesondere bei leichten Erkrankungen“, so Blaser weiter. In weiteren Studien wollen die Forscher nun herauszufinden, wie die Einnahme von Antibiotika optimiert und das Risiko zu erkranken verringert werden kann. (Mayo Clinic Proceedings, 2020, doi: 10.1016/j.mayocp.2020.07.019)

Quelle: Mayo Clinic, Rutgers University

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