Paläontologie

Urzeit-Haie konnten ihre Zähne kippen

Zahnreihen klappten beim Maulöffnen nach außen und sorgten für den richtigen Biss

Urzeit-Hai
Einige, vielleicht sogar alle Urzeithaie aus dem Erdaltertum konnten ihre Unterkiefer beim Maulöffnen nach außen drehen – das half beim Packen der Beute. © Christian Klug/ UZH

Raffiniertes Natur-Patent: Urzeit-Haie konnten ihre Unterkiefer beim Öffnen des Mauls nach außen klappen – und so ihre Zahnreihen optimal einsetzen. Denn das Kippen um je 20 Grad richtete die frischen, innen nachgewachsenen Zähne auf und half so, die Beute zu packen. Beim Schließen des Mauls kippten die Zahnreihen wieder nach innen und zogen die Beute mit. Belege für diese ungewöhnliche Kieferbewegung liefert nun ein 370 Millionen Jahre altes Haifossil, das Forscher in Marokko entdeckt haben.

Spitz, weiß und messerscharf – die Zähne der Haie sind gefürchtet, stellen aber auch eine faszinierende Anpassung dar. Denn um die beim Beutefang beschädigten oder verschlissenen Zähne zu ersetzen, wachsen den Haien an der Innenseite ihrer Kieferknochen ständig neue Zahnreihen nach. Diese Ersatzzähne rücken Ausfallen der äußeren, alten Zähne nach. Dadurch hat ein Hai meist mehrere Zahnreihen auf einmal in seinem Maul.

Eine fossile Rarität

Jetzt belegt das Fossil eines Urzeit-Hais, dass diese Fische ihre Zahnreihen früher auf besondere Weise einsetzten. Den Fund machten Paläontologen um Linda Frey von der Universität Zürich in einer rund 370 Millionen Jahre alten Gesteinsformation im Süden Marokkos. In ihr waren große Teile des Schädels und Skeletts eines gut 30 Zentimeter langen Hais erhalten – schon das ist eine Rarität, weil das Knorpelskelett nur selten versteinert und konserviert wird.

„Das von uns beschriebene, hervorragend erhaltene Fossil ist eine Ausnahmeerscheinung“, betont Frey Kollege Christian Klug. Noch seltener ist es jedoch, dass die Kiefer eines solchen Knorpelfischs intakt und nicht deformiert erhalten bleiben. Das ermöglichte es den Forschern, das Fossil der Ferromirum oukherbouchi getauften Haiart mittels Computertomografie zu scannen und auf dieser Basis mittels 3D-Druck ein funktionsfähiges Modell des Kopfes zu erstellen.

Kippbare Zahnreihen

Die näheren Untersuchungen enthüllten Erstaunliches: Dieser Hai konnte bei der Jagd auf Beute nicht nur sein Maul weit aufreißen, sondern dabei auch beide Unterkieferhälften nach außen drehen. „Bei einer Maulöffnung von rund 60 Grad ist jede Kieferhälfte dadurch um 20 Grad nach außen gekippt“, berichten die Forscher. Möglich wird dies, weil beide Seiten des Unterkiefers nicht miteinander verwachsen sind, sondern in der Mittel gegeneinander beweglich blieben.

Haikiefer
Dieses 3D-Modell zeigt, wie die Unterkiefer beim Maulöffnen nach außen rotierten. © Frey et al. / Communications Biology, CC-by-sa 4.0

Der Clou dabei: „Durch diese Drehung stellen sich die jüngeren, größeren und spitzeren Zähne auf, die normalerweise ins Innere des Maules zeigten“, erklärt Frey. Dadurch konnte der Hai diese frischen, noch nicht abgenutzten Zähne optimal zum Fangen der Beute einsetzen. War das Beutetier dann einmal gepackt, schloss der Hai sein Maul wieder und die Zahnreihen kippten nach innen. „Mit dieser Innendrehung beim Schließen der Kiefer ziehen die Zähne den Fang dann gleich ein Stück weit ins Maul hinein“, so Frey.

Einzigartige Strategie

„Unseres Wissens nach ist dieses Muster der Kieferbewegung bisher bei keinem lebenden Fisch bekannt“, konstatieren die Forscher. Sie gehen jedoch davon aus, dass Ferromirum oukherbouchi unter den Urzeit-Haien keine Ausnahme war. Vermutlich konnten einige, wenn nicht sogar alle Haie vor rund 300 bis 4000 Millionen Jahren ihre Unterkiefer noch auf diese Weise nach außen klappen.

Erst mit einem schnelleren Zahnwechsel und der Entwicklung komplexerer und spezialisierterer Kiefer bei den Haien und Rochen ging dieser Klappmechanismus allmählich verloren, wie die Paläontologen erklären. Heute sind die Kiefer dieser Knorpelfische ähnlich starr wie die der Knochenfische. (Communications Biology, 2020; doi: 10.1038/s42003-020-01394-2)

Quelle: Universität Zürich

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