Informative Mikroben: Ein interdisziplinäres Forscherteam hat untersucht, welche Kleinstlebewesen sich auf sieben berühmten Werken von Leonardo da Vinci tummeln. DNA-Analysen ermöglichten ihnen, in der Geschichte zu lesen, die Bakterien, Pilze und Co. über die Zeichnungen erzählen. Sie verrieten zum Beispiel etwas darüber, an welchen Orten die Kunstwerke schon waren, wie sie gelagert wurden und welche Restaurationen es gab.
Die Bilder des Künstlers und Universalgenies Leonardo da Vinci (1452-1519) ziehen bis heute Menschen in ihren Bann – sei es das Lächeln der Mona Lisa oder die erstaunliche räumliche Tiefe vieler seiner Gemälde. Neue Technologien ermöglichen Forschern heute, den Bildern weitere Geheimnisse zu entlocken, die weit über das mit bloßen Auge Sichtbare hinausgehen.
Während sich frühere Studien beispielsweise auf Farbschichten und Maltechniken konzentriert haben, interessiert sich das Team um Guadalupe Piñar von der Universität für Bodenkultur in Wien für eine ganz andere Dimension: das Mikrobiom der Kunstwerke.
Geografische Signatur durch Mikroben
Das unsichtbare Leben auf sieben da-Vinci-Zeichnungen haben die Forscher mit Hilfe moderner Methoden der DNA-Sequenzierung untersucht. „Jedes Bild hat ein ganz spezifisches Mikrobiom“, berichten Piñar und Kollegen. „Insgesamt entdeckten wir eine hohe Biodiversität im Mikrobiom der von uns untersuchten Werke. Es gab Unterschiede zwischen den einzelnen Gemälden, aber auch faszinierende Ähnlichkeiten zwischen manchen von ihnen.“
So liefern die Mikroorganismen auf den Zeichnungen eine Art geografischen Stempel. Fünf der analysierten Kunstwerke werden in Turin aufbewahrt, zwei in Rom. Beide Orte hinterließen eine spezifische Signatur an Kleinstlebewesen auf den Gemälden. Auch frühere Lagerungsbedingungen, etwa Temperatur und Luftfeuchtigkeit, wirkten sich auf das Mikrobiom aus.
Bakterien von Menschen und Insekten
Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher auf den da-Vinci-Zeichnungen mehr Bakterien als Pilze. Dabei gelten eigentlich Pilze als typische – wenn auch meist unerwünschte – Bewohner alter Papiere. Viele von ihnen zersetzen mit der Zeit die historischen Materialien. Womöglich lag auch deshalb der Fokus früherer Analysen eher auf Pilzen, während Bakterien weniger beachtet wurden.
Die Bakterienspezies, die die Forscher identifizierten, verrieten viel über ihre Herkunft: Zu einem großen Teil handelte es sich um Arten, die für das menschliche Mikrobiom typisch sind. Offenbar waren sie während Restaurationsarbeiten als Kontamination auf die Zeichnungen gelangt. Dazu passt, dass die Forscher auch Spuren menschlicher DNA fanden.
Andere Bakterien dagegen finden sich üblicherweise im Darm von Insekten. Und tatsächlich: Mikroskopische Aufnahmen enthüllten an mehreren Stellen die Hinterlassenschaften von Fliegen auf den Kunstwerken. Da diese seit vielen Jahrzehnten gut geschützt hinter Glas aufbewahrt werden, muss der Fliegenkot bereits ein beträchtliches Alter haben. Je nach Zeichnung haben Insekten seit den 1930ern keine Möglichkeit mehr, sich auf den wertvollen Stücken zu erleichtern.
Was tun zur Erhaltung der Kunstwerke?
In Hinblick auf die Erhaltung der Kunstwerke ist es aus Sicht der Forscher sinnvoll, sowohl den Insektenkot als auch den Staub von den Zeichnungen zu entfernen. Denn in beiden haben sie viele Bakterien und Pilze nachgewiesen. Obwohl keines der untersuchten Werke sichtbare Spuren von Zersetzung zeigte, entdeckten Piñar und Kollegen unter den Mikroben zahlreiche Spezies, die bei entsprechenden Umweltbedingungen die Materialien angreifen und ernsthaften Schaden anrichten können.
Andererseits jedoch kann der Umgang mit den fragilen Werken zu zusätzlicher Kontamination führen. Schließlich haben die Analysen gezeigt, dass viele der Bakterien aus dem menschlichen Mikrobiom stammten und sogar menschliche DNA nachweisbar war. Doch noch etwas spricht für die Forscher dagegen, die Verunreinigungen zu entfernen: „Dank des ‚Schmutzes‘ auf diesen Objekten war es möglich, ihre Geschichte zu erforschen und ein unverwechselbares Profil zu erstellen, das einen Teil der Kunstwerke bildet und sie beschreibt.“
Geschichte im „Dreck“
Viele der heute üblichen Konservierungsarbeiten hätten sämtliche Informationen, die die Studie zutage gefördert hat, zerstört. „Wenn man betrachtet, was man durch akkurate Untersuchungen entdecken kann, muss der Prozess, wie künstlerische Objekte erhalten werden, womöglich überdacht werden, denn ein Teil ihrer Geschichte steht in ihrem ‚Dreck‘ geschrieben“, so die Forscher.
Laut Piñar könnte die von ihrem Team genutzte Sequenzierungsmethode zukünftig als Werkzeug für die Überwachung von Kunstobjekten eingesetzt werden: „Sie ermöglicht die Beurteilung der Mikrobiome und die Visualisierung ihrer Variationen aufgrund von schädlichen Situationen. Dies kann als Bio-Archiv der Geschichte der Objekte verwendet werden und liefert eine Art Fingerabdruck für aktuelle und zukünftige Vergleiche.“
Neue Konservierungsmethoden könnten darauf zielen, nicht nur das visuelle Erscheinungsbild der Kunst zu erhalten, sondern auch den „Schmutz“, der einen Teil ihrer Geschichte dokumentiert. (Frontiers in Microbiology, 2020; doi: 10.3389/fmicb.2020.593401)
Quelle: Frontiers