Unsere Sonne wird schneller, die Große Magellansche Wilke hat eine Spiralstruktur und außerhalb der Milchstraßenscheibe gibt es unerwartete Sternenströme – dies sind nur einige der Einblicke, die jetzt der dritte Sternenkatalog des Gaia-Weltraumteleskops liefert. Diese bislang präziseste Kartierung umfasst Position, Bewegung und Spektrum von rund 1,8 Milliarden Himmelskörpern in der Milchstraße. Die Daten sind ein echter Schatz für Astronomen in aller Welt.
Seit 2013 durchmustert das europäische Gaia-Weltraumteleskop die Milchstraße vom Lagrangepunkt L2 aus – einen Punkt, der von der Sonne aus gesehen rund 1,5 Millionen Kilometer hinter der Erde liegt. Mit mehreren Teleskopen und Sensoren beobachtet Gaia dabei pro Tag im Schnitt 850 Millionen Objekte und sammelt Informationen über ihre Entfernung, ihr Spektrum und ihre Bewegung. Schon die beiden 2016 und 2018 veröffentlichen Sternenkataloge der Gaia-Mission haben unzählige neue Erkenntnisse erbracht.
Auf ihrer Basis haben Astronomen den Stammbaum der Milchstraße rekonstruiert, Fälle von Sternendiebstahl und Galaxienklau aufgeklärt und den überraschende Widersprüche bei Sternengeburten aufgedeckt. „Diese Daten bilden eine der Säulen der Astrophysik, den sie erlauben es uns, unsere stellare Nachbarschaft zu untersuchen und entscheidende Fragen über den Ursprung und die Zukunft unserer Galaxie zu klären“, erklärt Floor van Leeuwen von der University of Cambridge.
1,8 Milliarden Himmelskörper kartiert
Jetzt hat die europäische Weltraumagentur ESA den dritten und bislang umfangreichsten Datensatz der Gaia-Teleskops veröffentlicht. Der neue Sternenkatalog umfasst rund 1,8 Milliarden Himmelskörper und kartiert die Bewegung und das Spektrum von 1,5 Milliarden Sternen. Das ermöglicht es noch besser und präziser als zuvor, Rückschlüsse über die Herkunft und das Alter verschiedener Sternenströme und -populationen in der Milchstraße zu ziehen.
So zeigen die neue Daten, dass sich oberhalb der galaktischen Sternenscheibe ein langsamer, unterhalb jedoch ein schneller Sternenstrom auf die Hauptebene zubewegen. Astronomen vermuten, dass beide Relikte einer alten Beinahe-Kollision unserer Galaxie mit der Sagittarius-Zwerggalaxie sind. Sie ist schon mehrfach durch die Randbereiche unserer Galaxie gewandert und könnte sogar die Entstehung des Sonnensystems ausgelöst haben.
Das Sonnensystem wird schneller
Neues liefert der Gaia-Katalog aber auch zu unserem Sonnensystem. Denn aus der Bewegung der Sterne um uns herum können Astronomen darauf schließen, auf welcher Bahn und mit welcher Geschwindigkeit wir uns um das Milchstraßenzentrum bewegen. Demnach wird das Sonnensystem im Laufe der Zeit etwas schneller – um 0,23 Nanometer pro Sekunde im Quadrat. Jedes Jahr kommt es demnach rund 115 Kilometer weiter auf seinem Orbit voran als im Jahr davor.
„Diese von Gaia gemessene Beschleunigung zeigt eine gute Übereinstimmung mit der theoretischen Erwartung und liefert wichtige Informationen über die Bewegung des Sonnensystems im Gravitationsfeld unserer Galaxie“, erklärt Sergei Klioner von der TU Dresden. „Die Messung der Beschleunigung des Sonnensystems mit einer relativen Genauigkeit von sieben Prozent ist ein wissenschaftlich sehr wichtiges Ergebnis, aber gleichzeitig auch ein überzeugender Beweis der Güte der neuen Daten.“
Stellare und galaktische Nachbarn
Ebenfalls neu im dritten Datensatz ist ein genauerer Blick auf die nähere Umgebung unseres Sonnensystems. Lange waren nur Objekte im Umkreis von weniger als 100 Lichtjahren genauer erfasst und kartiert. Der neue Gaia-Katalog umfasst nun die Eigenschaften und Positionen von mehr als 330.000 Sternen im Umkreis von 326 Lichtjahren um unsere Sonne – das entspricht rund 92 Prozent aller Objekte in diesem Gebiet.
Parallel dazu hat Gaia seinen Bick aber auch in die Außenbereiche unserer Heimatgalaxie gerichtet und sogar darüber hinaus. Denn der neue Katalog listet Bewegungen von Sternen in den beiden Magellanschen Wolken – zwei irregulären Zwerggalaxien in 160.000 beziehungsweise 200.000 Lichtjahren Entfernung. Die Daten enthüllen unter anderem, dass die Große Magellansche Wolke trotz ihrer unregelmäßigen, diffus erscheinenden Form eine Spiralstruktur besitzt.
„Eine wahre Schatzgrube für Astronomen“
„Der neue Gaia-Katalog verspricht schon jetzt, eine wahre Schatzgrube für Astronomen zu werden“, sagt Jos de Bruijne von der ESA. Und die Erfolgsgeschichte von Gaia ist noch nicht zu Ende: Ursprünglich war das Ende der Gaia-Mission für das Jahr 2019 geplant. Weil alle Instrumente des Satelliten aber noch voll funktionsfähig sind, soll die Sonde bis zum Jahr 2025 Daten sammeln. Dann werden die für die Ausrichtung des Satelliten nötigen Gasvorräte an Bord voraussichtlich verbraucht sein. Weitere noch vollständigere Veröffentlichungen des Gaia-Kataloges sind ab dem Jahr 2022 geplant.
Quelle: European Space Agency (ESA)/ Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)