Feuern nur bei Fakten: Unser Gehirn ist offenbar darauf geeicht, besonders stark auf Fakten zu reagieren – oder das, was zumindest so klingt. Denn Formulierungen, die eine Gewissheit oder Tatsache ausdrücken, lösen eine signifikant stärkere Hirnaktivität aus als Möglichkeitsformen wie „könnte“ oder einschränkende Wörter wie „vielleicht“. Das Problem jedoch: Diese Reaktion ist von der Formulierung abhängig, nicht davon, ob der vermeintliche Fakt tatsächlich stimmt.
In Zeiten von Fake-News und Verschwörungstheorien stellt sich zunehmend die Frage, wie wir Fakten von Lügen und Tatsachen von Spekulationen unterscheiden können. Denn gerade in den sozialen Medien breiten sich falsche Aussagen und erfundene „Skandale“ oft rasend schnell aus – und viel breiter als wahre Informationen oder Richtigstellungen. Dabei können Freundeskreise und andere Gruppen wie Echokammern für Gerüchte oder Fake-News wirken.
Tatsache versus Möglichkeit
Das weckt die Frage, ob und wie unser Gehirn auf solche Informationen reagiert. Einen Aspekt davon haben nun Maxime Tulling von der New York University und seine Kollegen untersucht. Sie wollten wissen, ob unser Gehirn schon die Art der sprachlichen Formulierung unterscheiden kann. Mit anderen Worten: Reagiert das Gehirn auf als Fakten präsentierte Informationen anders als auf Formulierungen, die eine Möglichkeit ausdrücken?
Ist das der Fall, dann müsste der Satz: „Unter dem Bett sind Monster“ eine andere Hirnaktivität auslösen als der Satz: „Unter dem Bett könnten Monster sein.“ Um das zu testen, spielten die Forscher Probanden verschiedene Sätze vor, die den gleichen Inhalt einmal als Fakt und einmal als Möglichkeit formulierten. Letzteres ist unter anderem durch Modalverben wie „könnte“, „müsste“, „würde“ gekennzeichnet oder durch Modalwörter wie „vielleicht“ und „wahrscheinlich“.
Während die Teilnehmer diesen Sätzen lauschten, maßen die Wissenschaftler ihre Hirnaktivität mittels Magnetenzephalografie. Dabei registriert ein spezieller Detektorhelm die schwachen Magnetfelder, die von den elektrischen Gehirnwellen erzeugt werden.
Instinktive Reaktion auf Faktisches
Das Ergebnis: Unser Gehirn erkennt noch vor dem Nachdenken über die Inhalte, ob ein Satz eher eine Fakt oder aber eine Möglichkeit transportiert. Die faktischen Sätze erzeugten innerhalb von 200 Millisekunden eine signifikant höhere Aktivität als bei Modalkonstruktionen. „Unser Gehirn ist demnach besonders sensitiv für Information, die als Fakt präsentiert wird“, sagt Tulling.
Besonders intensiv reagierten dabei die Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Aussagen und Diskursen zuständig sind, wie die Analysen ergaben. „Unser Studie macht deutlich, dass Information, die als Fakt präsentiert wird, in unserem Gehirn eine spezielle Reaktionen hervorruft“, sagt Tullings Kollegin Liina Pylkkanen. „Wenn wir die gleichen Inhalte mit klaren Kennzeichen der Unsicherheit hören, wie ‚könnte‘ oder „müsste“, löst dies eine deutlich andere Reaktion aus. Fakten sind eindeutig Trumpf, wenn es um unser Gehirn geht.“
Die Macht der Sprache
Nach Ansicht der Wissenschaftler demonstriert dies die Bedeutung von Sprache und Formulierungen: Eine Information, die als Fakt präsentiert wird, verleitet uns nicht nur bewusst dazu, ihr mehr Glauben zu schenken. Sie löst auch auf neuronaler Ebene und damit unbewusst eine andere Reaktion aus. „Das unterstreicht die Macht faktischer Sprache“, sagt Tulling. „Die Art, in der eine Information präsentiert wird, hat direkte Auswirkungen darauf, wie unser Gehirn sie verarbeitet.“
Das Problem dabei: Unser Gehirn unterscheidet auf dieser Ebene nicht, ob die faktisch präsentierte Information richtig oder falsch ist und wie glaubwürdig die Quelle der Aussage ist. Das bedeutet, dass auch eine als Fakt berichtete Falschinformation in unserem Gehirn zunächst eine genauso starke Reaktion auslöst wie eine echte Tatsache. Erst im zweiten Schritt erfolgt dann eine bewusste Bewertung und Verarbeitung des Gehörten oder Gelesenen. (eNeuro, 2020; doi: 10.1523/ENEURO.0290-20.2020)
Quelle: New York University