Hütchenspiel für Vögel: Raben sind ähnlich schlau wie Menschenaffen und das schon in sehr jungem Alter. Das belegt ein Experiment, das erstmals die ganze Bandbreite physischer und sozialer Intelligenz dieser Vögel mit einer standardisierten Testbatterie überprüft hat. In ihr mussten die Vögel unter anderem ihr räumliches Gedächtnis im Hütchenspiel testen, Futterstücke zählen und ihre soziale Intelligenz im Erkennen subtiler Hinweise der Experimentatoren beweisen.
Rabenvögel gehören zu den klügsten Köpfen im Vogelreich. Sie können zählen, Werkzeuge nutzen und vorausschauend planen. Von ihrer hohen sozialen Intelligenz zeugt unter anderem ihre Fähigkeit, sich in Artgenossen hineinzuversetzen, empathisch zu sein, aber auch strategisch zu handeln – beispielsweise, wenn es um das Verstecken von Futtervorräten geht oder das Kooperieren im Rabenverbund. Selbst Gesten nutzen und verstehen die klugen Vögel.
Primatentests an Vögel angepasst
Doch wo liegt die Intelligenz der Raben, wenn man sie mit der von Menschenaffen vergleicht? Kann man die kognitiven Leistungen dieser beiden Tiergruppen überhaupt miteinander vergleichen? Um diese Fragen zu klären, haben Simone Pika von der Universität Osnabrück und ihr Team die physischen und sozialen Fähigkeiten von Kolkraben erstmals zusammenfassend und vergleichend untersucht.
Das Interessante daran: Die Raben bekamen Aufgaben einer standardisierten Testbatterie, die sonst zur Bewertung der Intelligenz von Primaten eingesetzt wird. Die Forschenden passten diese Tests daran an, dass Raben keine Hände besitzen und mit ihrem Schnabel agieren. In den Grundaufgaben aber war dieser IQ-Test für Raben mit dem der Menschenaffen vergleichbar.
Hütchenspiele für Raben
Im ersten Testteil mussten die acht Raben neun Aufgaben aus dem Bereich der physischen Intelligenz lösen – dazu gehören das räumliche Gedächtnis, die Fähigkeit zur Mengenunterscheidung oder das Verstehen ursächlicher Zusammenhänge. Einige dieser Tests nutzten das Prinzip des Hütchenspiels: Ein Futterstück wird unter einem Becher versteckt wird und der Rabe muss sich trotz Verschieben, Drehen oder Austauchen der Becher merken, wo das Futter liegt. Aber Tests mit verschiedenen Werkzeugen gehörten zum Aufgabenspektrum.
Der zweite Testteil prüfte in sechs Aufgaben die soziale Intelligenz. Dafür sollten die Raben unter anderem zeigen, ob sie Hinweise auf verstecktes Futter in Form von Gesten oder der Blickrichtung eines Experimentators begreifen. Auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen oder deren Intentionen zu deuten, wurde getestet.
Ähnlich gut wie Menschenaffen – schon als Jugendliche
Das Ergebnis: Sowohl in den physischen wie den sozialen Aufgaben schnitten die Raben respektabel ab – insgesamt war ihre Leistung sogar der der Menschenaffen vergleichbar, wie Pika und ihr Team berichten. Besonders gut meisterten die Vögel die Aufgaben, in denen es um das Unterscheiden von Mengen und Kausalitäten ging. Aber auch im sozialen Lernen und der Kommunikation waren die Raben den Schimpansen und Orang-Utans nahezu ebenbürtig.
Die Tests belegten zudem, dass die Intelligenz der Raben sich schon in sehr jungem Alter manifestiert: Vier Monate alte Jungraben schnitten in den Tests kaum schlechter ab als ausgewachsene Vögel mit 16 Monaten. Die Biologen führen dies darauf zurück, dass junge Raben früh selbständig werden und sich im komplexen Sozialgefüge der Vögel durchsetzen müssen.
Rätsel um die räumliche Intelligenz
Überraschend jedoch: Ausgerechnet bei der räumlichen Intelligenz schnitten die Raben überraschend mäßig ab – und damit bei einer Fähigkeit, die sie bei ihrer Lebensweise eigentlich besonders gut beherrschen müssten. „Raben vollführen eindrucksvolle Flugmanöver, legen Futterverstecke an und räubern die Vorratsverstecke von Artgenossen aus“, berichten Pika und ihr Team. „Die relativ schwachen Leistungen im räumlichen Bereich sind daher umso überraschender.“
Allerdings vermuten die Wissenschaftler, dass an diesem schlechten Abschneiden weniger die Raben schuld sind als vielmehr die Testbedingungen. „Raben und andere Rabenvögel haben ein hochgradig von Konkurrenz geprägtes Sozialleben“, erklären sie. So nutzen die Vögel beispielsweise absichtlich Täuschungsmanöver beim Futterverstecken, wenn sie sich von Artgenossen beobachtet fühlen.
Auf gleiche Weise könnte die intensive Beobachtung durch die menschlichen Experimentatoren die Ergebnisse verfälscht haben, vermuten Pika und ihr Team. Möglicherweise haben die Raben zum Teil absichtlich das falsche Hütchen gewählt, um die vermeintlichen Konkurrenten zu täuschen – ähnlich wie sie es im Freiland mit Artgenossen tun.
Ebenbürtig trotz fehlender Großhirnrinde
„Zusammengefasst demonstrieren diese Experimente, dass die kognitiven Leistungen unserer Raben denen von erwachsenen Menschenaffen ebenbürtig waren“, konstatiert das Forscherteam. „Das stärkt die Vorstellung, dass Raben ein flexibles und umfassendes neuronales System für höhere Intelligenzleistungen entwickelt haben, statt nur in einigen hochspezialisierten Bereichen zu glänzen.“
Gleichzeitig bestätigen diese Resultate, dass diese Vögel solche Leistungen trotz ihrer völlig anderen Gehirnstruktur erbringen können. Denn im Gegensatz zu Säugetieren fehlt ihnen der Neocortex, die mehrschichtige Großhirnrinde, die als der entscheidende Sitz höherer Hirnfunktionen gilt. (Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-020-77060-8)
Quelle: Universität Osnabrück