Gruseliges Mahnmal: Vor gut 500 Jahren errichteten die Azteken in Tenochtitlan einen großen Turm aus Totenschädeln. Jetzt haben Archäologen an der Ostwand dieses Turm weitere 119 Schädel freigelegt – darunter auch Relikte von Frauen und Kindern. Dies könnte darauf hindeuten, dass einige Schädel im sogenannten Huei Tzompantli nicht von gegnerischen Kriegern stammen, sondern von Opferritualen für die Götter.
Für frühe Zivilisationen Mittel- und Südamerikas waren der Tod und Opferrituale fester Bestandteil ihrer Kultur. Davon zeugen archäologische Funde, beispielsweise von den Mumien geopferter Inka-Mädchen, von Maya-Massengräbern mit zerstückelten Feinden oder einem Grab der Chimu-Kultur, in dem hunderte Kinder mit herausgerissenem Herzen bestattet waren.
119 weitere Schädel am Huei Tzompantli
Die Azteken dokumentierten ihre Macht unter anderem mit dem Huei Tzompantli – einem riesigen Turm aus Totenschädeln im Großen Tempel ihrer Hauptstadt Tenochtitlan. Das Gestell mit hunderten Schädeln hat einen Durchmesser von 4,50 Meter und wurde vermutlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichtet. Bereits vor einigen Jahren hatten Archäologen einen Teil dieses Turms ausgegraben und dabei 484 Schädel gefunden.
Jetzt berichtet das Nationale Institut für Anthropologie und Geschichte (INAH), dass bei Ausgrabungen an der Ostwand des Schädelturms weitere 119 Schädel gefunden wurden. Unter den neuen Funden sind auch einige Relikte von Frauen und Kindern. Insgesamt umfassen damit allein die bislang freigelegten Teile des Turms mehr als 600 Schädel.
„Der Templo Mayor überrascht uns bei jedem Schritt“, sagte die mexikanische Kulturministerin Alejandra Frausto. „Der Huei Tzompantli ist zweifellos der eindrucksvollste archäologische Fund der letzten Jahre in unserem Land.“
Warnung und Götteropfer zugleich
Die Archäologen gehen davon aus, dass die meisten Schädel im Huei Tzompantli von gefangenen und getöteten Feinden stammten. Der Schädelturm war demnach eine Art Warnung und Mahnmal, das allen Gegnern des Aztekenreichs ihr Schicksal vor Augen führen sollte, sollten sie einen Angriff wagen.
Die neuen Funde stützten allerdings die Annahme, dass der Schädelturm für die Azteken noch eine andere Bedeutung hatte. Denn vor allem die Frauen und Kinder könnten im Zuge von Ritualen geopfert worden sein. „Wir können nicht eindeutig feststellen, wie viele dieser Individuen Krieger waren – möglicherweise stammen einige der Schädel von Gefangenen, die für Opferzeremonien gedacht waren“, erklärt der INAH-Archäologe Barrera Rodriguez.
In den mittelamerikanischen Kulturen waren Menschenopfer ein wichtiger Teil der Religion und ein Mittel, um die Götter günstig zu stimmen. Der Tod weniger sicherte demnach den vielen das Überleben. „In gewisser Weise war dieser Schädelturm daher eher ein Bauwerk des Lebens als des Todes“, heißt es in einer Erklärung des INAH.
Quelle: Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH)