Der Durchbruch des Jahres 2020 steht ganz im Zeichen der Corona-Pandemie: Das „Science“-Magazin kürt die Impfstoffe gegen Covid-19 zur wichtigsten Errungenschaft. Unter den Top Ten sind aber auch der erste Raumtemperatur-Supraleiter, ein Radioblitz aus unserer Heimatgalaxie und eine künstliche Intelligenz, die den Proteincode knacken kann. Der „Breakdown“ des Jahres ist dagegen der Aufschwung von Verschwörungstheorien und Misstrauen gegenüber der Wissenschaft.
Jedes Jahr kurz vor Weihnachten kürt das Fachmagazin „Science“ die Highlights des Jahres – und lässt so das wissenschaftliche Jahr noch einmal Revue passieren. In die Top Ten kommen dabei Forschungsergebnisse und Entdeckungen, die auf ihren Gebieten besonders zukunftsweisend und bedeutsam sind. Eine Errungenschaft wird als Durchbruch des Jahres besonders herausgehoben. Im Jahr 2019 war es das erste Foto eines Schwarzen Lochs, 2018 ein Blick in den Embryo und 2017 die erste Beobachtung einer Neutronensternkollision.
Impfstoffe: Erfolg wider alle Erwartungen
Für 2020 wurde eine Forschungsleistung zum Durchbruch des Jahres erklärt, die uns alle direkt betrifft: die erfolgreiche Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19. Während dies normalerweise mehrere Jahre benötigt, schaffte es die konzertierte Anstrengung von Forschung, Unternehmen und Politik in weniger als einem Jahr. Gleich zwei Vakzine auf Basis der neuen mRNA-Technologie – eine von BioNTech/Pfizer und eine von Moderna – werden gerade zugelassen, mehrere klassische Impfstoffe auf Basis von Trägerviren sind ebenfalls auf der Zielgeraden.
Noch sei der Kampf gegen die Corona-Pandemie zwar nicht gewonnen, aber die Vakzine seien ein erster wichtiger Schritt dorthin. „Was für eine freudige Art, das Jahr 2020 zu beenden“, kommentiert Redakteur Jon Cohen. „Nie zuvor haben so viele Konkurrenten so offen und häufig kollaboriert. Nie zuvor haben es so viele Vakzin-Kandidaten nahezu gleichzeitig bis zu großen klinischen Studien geschafft. Und nie zuvor haben Regierungen, Industrie, Wissenschaft und gemeinnützige Organisationen mehr Geld, Anstrengung und Gehirnschmalz in so kurzer Zeit in eine Infektionskrankheit investiert.“
„Breakdown“ des Jahres: Verschwörungstheorien und Fake-News
Allerdings hat die Pandemie auch eine Schattenseite der modernen Gesellschaften enthüllt: das Erstarken von Verschwörungstheorien und absichtlichen Falschinformationen. Für das „Science“-Magazin ist dies der „Breakdown“ des Jahres 2020 und eine besorgniserregende Entwicklung, der es entgegen zutreten gilt.
„So wie Videokonferenzen und Online-Shopping gewaltige neue Märkte erschlossen haben, während Schulen, Läden und Büros geschlossen blieben, konnten auch Polarisierung, Politisierung und ein Medien-Ökosystem, das einfache Lügen über komplexe Wahrheiten stellt, von der großen Verunsicherung der Menschen profitieren“, sagt „Science“-Autor Kai Kupferschmidt. „Für manche waren statt des Virus nun die Wissenschaftler der neue Feind.“
Radioblitz und Raumtemperatur-Supraleiter
Neben dem Coronavirus und seinen Auswirkungen hat das Jahr 2020 aber auch eine ganze Reihe weiterer Highlights der Forschung gebracht. In der Astronomie brachte ein kosmischer Glücksfall Forscher auf die Spur der rätselhaften Fast Radiobursts. Denn erstmals fing ein Radioteleskop einen dieser ultrakurzen Radioblitze aus unserer eigenen Galaxie auf. Das ermöglichte es, seinen Urheber zu identifizieren: einen Magnetar.
In der Physik ist das Highlight des Jahres ein Material, das bei Raumtemperatur zum Supraleiter wird und Strom widerstandsfrei leitet. Das kohlenstoffhaltige Schwefelhydrid wird schon bei 14,5 Grad supraleitend, allerdings geschieht dies nur unter enormem Druck. Doch die Forscher hoffen, bald auch Materialien zu finden, die ihre supraleitenden Eigenschaften auch unter Normaldruck beibehalten.
Proteinfaltung und Gentherapie
Einen Durchbruch für die Biomedizin bringt dagegen eine künstliche Intelligenz, die eine der größten Herausforderungen der Biomedizin geknackt hat: die Vorhersage der dreidimensionalen Struktur eines Proteins allein anhand seiner Aminosäurestruktur. Das KI-System „AlphaFold“ hat die Struktur von 70 Proteinsequenzen mit im Schnitt 92,4-prozentiger Präzision vorhergesagt – und damit ähnlich genau wie langwierige experimentelle Analysen.
Ebenfalls ein Highlight ist die erste erfolgreiche Gentherapie der Sichelzellenanämie mit der Genschere CRISPR/Cas9. Dafür entnahmen die Forscher Patienten mit dieser erblichen Blutkrankheit Blutstammzellen und veränderten in deren Erbgut einen Genschalter. Nachdem dann eine Chemotherapie die defekten körpereigenen Blutstammzellen abgetötet hatte, erhielten die Patienten dieses reparierte Blut wieder zugeführt. Dadurch normalisierte sich die zuvor gestörte Funktion ihres Blutes.
In der HIV-Forschung gab es ebenfalls Fortschritte: Wissenschaftler haben herausgefunden, warum einige wenige mit dem HI-Virus infizierte Menschen nicht krank werden. Offenbar liegt dies daran, dass ihr Immunsystem das Virus daran hindert, seine Gene in wichtige Bereiche des menschlichen Erbguts einzubauen. Das eröffnet neue Ansatzmethoden für Therapien.
Die älteste Jagdszene und das Gehirn der Vögel
Weit zurück in die Menschheitsgeschichte geht dagegen die Entdeckung der ältesten Jagdszene der Menschheit auf Sulawesi – auch sie zählen die „Science“-Editoren zu den Highlights des Jahres. Die mehr als 40.000 Jahre alte Höhlenmalerei zeigt acht Mensch-Tier-Mischwesen, die mit Speeren Jagd auf größere Wildtiere machen. Dieses Bild ist nicht nur die älteste figürliche Darstellung weltweit, sie gibt auch neue Einblicke in die spirituelle Vorstellungswelt unserer Vorfahren.
Weniger spirituell, aber ebenfalls tierisch ist ein Highlight der Biologie: In gleich mehreren Studien haben Wissenschaftler neue Einblicke in die Arbeitsweise des Vogelgehirns gewonnen. Das ist deshalb spannend, weil einige Vögel ähnlich fortgeschrittene kognitive Leistungen vollbringen wie Menschenaffen oder der Mensch, obwohl sie keine Großhirnrinde besitzen.
Als weitere Highlights listet „Science“ verbesserte Informationen darüber, wie das Klima auf den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen reagiert, aber auch die zunehmende Präsenz und Anerkennung von People of Colour auch in der akademischen Welt.
Quelle: Science