Weltweit verwandt: Obwohl erwachsene Europäische Aale in ganz verschiedenen Gewässern in Europa und Nordafrika leben, gehören sie alle zu einer Population, wie Genomanalysen enthüllen. Demnach bilden die Aale trotz ihrer sehr unterschiedlichen Anpassungen an ihre Lebensräume keine genetischen Untergruppen. Eine mögliche Ursache für diese phänotypische Plastizität könnte das gemeinsame Laichen in der Sargassosee sein, mutmaßen die Forscher.
Organismen passen sich im Laufe der Evolution an ihre Lebensbedingungen an, dadurch entstehen mit der Zeit auch genetische Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen. So unterscheiden sich beispielsweise in der Stadt lebende Hummeln genetisch von ihren Artgenossen auf dem Land, die Stechmücken der Londoner U-Bahnschächte sind sogar schon dabei, eine neue Art zu bilden.
Es gibt aber auch Anpassungen, die rein physiologisch bedingt sind und nicht auf Genveränderungen zurückgehen. Ein Beispiel für eine solche phänotypische Plastizität sind Heuschrecken-Männchen, bei denen die Frequenz ihres Zirpens an den Straßenlärm angepasst ist.
Ein Ursprung, verschiedene Lebensräume
Ob dieser Prozess auch bei Europäischen Aalen (Anguilla anguilla) stattfindet, haben nun Forscher um Erik Enbody von der Universität Uppsala in Schweden untersucht. Bisher wusste man nur, dass alle Aale dieser Art in der subtropischen Sargassosee laichen, aber danach aus dem Meer in Flüsse mit Brack- und Süßwasser in Europa und Nordafrika auswandern. Als Erwachsene sind diese Aale in ihren Lebensräumen an ganz unterschiedliche Bedingungen etwa im Salzgehalt oder dem Klima angepasst. Zum Lebensende wandern sie wieder zurück ins Meer, legen Eier und sterben.
„Nach unserem Wissen laichen alle Aale in der Sargassosee, aber das schließt die mögliche Existenz von Subpopulationen nicht aus“, erklärt Enbodys Kollege Mats Pettersson. „Zum Beispiel kann es sein, dass nördliche Aale in einer anderen Region, in einer anderen Tiefe oder zu einer anderen Zeit als südliche Aale laichen, oder sie haben einfach die Fähigkeit, Artgenossen aus der gleichen Klimaregion zu erkennen.“
Um der Frage nach den genetischen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen, sammelten die Wissenschaftler 445 Europäische Aale von zehn verschiedenen Standorten in Europa und in Nordafrika. Mittels Sequenzierung und Vergleich der Genome prüften sie, ob diese Aale zu einer einzigen panmiktischen Population mit gleichem Erbgut gehören oder nicht.
Überraschend geringe Unterschiede
Dabei zeigte sich: „Wenn wir die DNA-Sequenzen von Aalen aus verschiedenen Teilen Europas und Nordafrikas vergleichen, finden wir keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit der Genvarianten“, resümiert Pettersson. Der genetische Unterschied lag nur bei rund einem Prozent. „Daraus schließen wir, dass Europäische Aale zu einer einzigen panmiktischen Population gehören und dass ihre Fähigkeit, eine so große Bandbreite an Umgebungen zu bewohnen, auf phänotypische Plastizität zurückzuführen sein muss.“
Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Lebensräume und Umweltbedingungen haben sich die Aale demnach genetisch kaum auseinander entwickelt. „Es ist ziemlich beeindruckend, dass erwachsene Aale eine solche Bandbreite an Umgebungen bewohnen können, ohne in genetische Subpopulationen isoliert zu werden“, sagt Enbody. „Es ist erstaunlich, dass wir selbst mit Millionen von genetischen Varianten einen Aal in einem See in Schweden nicht von einem Aal in einem nordafrikanischen Fluss unterscheiden können.“
Im Gegensatz dazu zeigen viele andere marine Fischarten, die in unterschiedlichen Umgebungen leben, wie zum Beispiel der Atlantische Hering, ortsabhängige genetische Anpassungen, die zum Beispiel mit dem Salzgehalt und der Wassertemperatur zum Zeitpunkt des Laichens zusammenhängen.
Gemeinsames Laichgebiet entscheidend?
Warum passen sich dann Aale nur physiologisch an die unterschiedlichen Umgebungen an, obwohl sie einem noch breiteren Spektrum von Umweltbedingungen ausgesetzt sind als der Atlantische Hering? „Unsere Hypothese ist, dass dieser auffällige Unterschied zwischen dem Atlantischen Hering und den europäischen Aalen durch die Tatsache erklärt wird, dass alle Aale unter nahezu identischen Bedingungen in der Sargassosee laichen“, erklärt Enbodys Kollege Leif Andersson. „Die Befruchtung und die frühe Larvenentwicklung ist die empfindlichste Periode im Leben eines Fisches.“
„Es ist wahrscheinlich, dass Aale seit Millionen von Jahren eine Lebensgeschichte haben, bei der das Ablaichen unter sehr ähnlichen Bedingungen stattfindet, während der größte Teil des Lebenszyklus unter unterschiedlichen Umweltbedingungen abläuft. Mechanismen zur Bewältigung dieser Herausforderung könnten sich also durch natürliche Selektion entwickelt haben“, schließt Andersson.
Hinweise auch für den Artenschutz
Da es sich bei dem europäischen Aal um eine unter anderem von Überfischung und dem Klimawandel gefährdete Art handelt, gibt die neue Studie auch Hinweise zum Artschutz: „Eine wichtige Schlussfolgerung dieser Ergebnisse ist, dass die Verhinderung des Rückgangs der Aalpopulation eine internationale Zusammenarbeit erfordert, da diese Art eine einzige Brutpopulation darstellt“, so Enbody. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021, doi: 10.1073/pnas.2022620118)
Quelle: The Swedish Research Council, Universität Uppsala