Wolkiger Irrtum: Vor wenigen Monaten sorgte der Nachweis von Phosphin in den Venuswolken für Aufsehen, denn das Gas gilt als potenzieller Lebensanzeiger. Doch jetzt zeigt eine Studie, dass das Spektralsignal nicht aus den Wolken der Venus stammt, sondern aus weit größerer Höhe. Dort aber würde Phosphin in Sekundenbruchteilen zerfallen. Schwefeldioxid dagegen erzeugt eine ganz ähnliche Spektrallinie und ist auf der Venus gängig und stabiler, so die Wissenschaftler.
Die Venus war zwar einst lebensfreundlich, heute jedoch ist ihre Oberfläche tödlich heiß und dicht. Aber schon länger spekulieren Planetenforscher darüber, ob nicht die dichten Wolken unseres Nachbarplaneten ein Refugium für Mikroben und andere einfache außerirdische Lebensformen bieten könnten.
Phosphin oder Schwefeldioxid?
Diese Hypothese schien sich im September 2020 zu bestätigen, als Forscher um Jane Greaves von der Cardiff University die spektrale Signatur von Phosphin (PH3) in der Wolkenschicht der Venus nachwiesen. Dieses giftige Gas kann durch Abbautätigkeiten anaerober Bakterien entstehen und gilt daher als mögliche Biosignatur außerirdischer Lebensformen. Basis für den Nachweis war eine mit den ALMA-Teleskopen in Chile detektierte Spektrallinie bei 266,94 Gigahertz.
Das Problem jedoch: An dieser Stelle des Radiospektrums liegen die Signaturen von Phosphin mit 266,944 und Schwefeldioxid (SO2) mit 266,943 Gigahertz extrem eng beieinander. Schwefeldioxid ist das dritthäufigste Gas in der Venusatmosphäre. „Deswegen muss geklärt werden, wie stark Schwefeldioxid zu dieser Spektrallinie beiträgt, bevor man sie in Teilen oder vollständig dem Phosphin zuschreiben kann“, erklären Andrew Lincowski von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen.
Die Astronomen um Greaves hatten einen Beitrag des Schwefeldioxids zu ihrem Signal ausgeschlossen, weil in den ALMA-Messdaten die SO2-typischen Begleitmerkmale fehlten. „Dieses Fehlen ist ein Schlüsselfaktor für den Phosphin-Nachweis – entsprechend genau muss er überprüft werden“, konstatieren nun Lincowski und sein Team.
Signal kommt nicht aus den Wolken
Für ihre Überprüfung nutzten die Astronomen das sogenannte SMART-Modell (Spectral Mapping Atmospheric Radiative Transfer), ein speziell für die Simulation und Prüfung von Spektraldaten entwickeltes System. Mit diesem bildeten die Forscher die spektralen Signaturen verschiedener Varianten der Venusatmosphäre nach und simulierten ihren Empfang mit den Antennen von ALMA und dem James-Clerk-Maxwell-Radioteleskop (JCMT) auf Hawaii.
Die Analysen enthüllten: Die Feinstruktur der von ALMA und JCMT detektierten Spektrallinie bei 266,94 passt nicht zu einem Ursprung dieses Signales in der stark streuenden Wolkenschicht der Venus. Stattdessen muss dieses Signal aus einer Höhe von rund 80 bis 90 Kilometern stammen – aus der über den Wolken liegenden Mesosphäre des Planeten, wie Lincowski und seine Kollegen berichten.
Mesosphäre ist für Phosphin „tödlich“
Doch in dieser Höhe sind die Bedingungen extrem destruktiv: Ungeschützt von den Wolken lässt die harte UV-Strahlung der Sonne viele Chemikalien sofort zerfallen – auch Phosphin: „Dort wo die Spektrallinie herkommt, hat Phosphin eine Lebensdauer von nur Sekundenbruchteilen, weil Chlor- und Wasserstoff-Radikale und die UV-Strahlung es zerstören“, erklären die Wissenschaftler.
Wenn das Signal wirklich von Phosphin stammt, dann müsste dieses Gas in einer unrealistisch hohen Rate aus tieferen Schichten in die Mesosphäre aufsteigen, um diesen schnellen Zerfall auszugleichen: „Die Nachschubrate von Phosphin müsste dann 100-mal höher sein als die Rate, mit der die gesamte irdische Pflanzenwelt Sauerstoff durch Photosynthese produziert und an die Atmosphäre abgibt“, sagt Lincowskis Kollegin Victoria Meadows.
„Linienverdünnung“ schluckte Schwefeldioxid-Anzeiger
Nach Ansicht der Astronomen ist es daher eher unwahrscheinlich, dass das Spektralsignal wirklich von Phosphin stammt. Stattdessen spricht einiges dafür, dass doch Schwefeldioxid dahintersteckt. Denn von diesem Gas weiß man, dass es auch in der Mesosphäre der Venus vorkommt, weil es dort photochemisch aus anderen Molekülen immer wieder neu entsteht.
Gestützt wird dies durch Hinweise darauf, dass das Fehlen der Begleitmerkmale in den ALMA-Daten auf einen Störeffekt zurückgehen. Diese sogenannte Linien-Verdünnung tritt auf, wenn die Einzelantennen-Daten von ALMA miteinander verrechnet werden. „Wegen dieses künstlich abgeschwächten Signals schloss das Team auf einen geringen Anteil von Schwefeldioxid“, sagt Lincowski. Wenn man jedoch die Linienverdünnung berücksichtige, dann seien auch die ALMA-Ergebnisse mit Schwefeldioxid vereinbar.
Venus bleibt rätselhaft
Was aber bedeutet dies nun für unser Bild der Venus und möglicher „Lebensrefugien“ in ihren Wolken? Wie Lincowski und sein Team betonen, schließen ihre Analysen nicht aus, dass es in den Venuswolken vielleiht doch Phosphin gibt. Aber für die von ALMA gemessene Spektralsignatur ist dieses Gas wohl nicht verantwortlich. Sollte es allerdings wider Erwarten doch Phosphin in der Mesosphäre der Venus geben, dann würde dies viele Annahmen über die chemischen Vorgänge in der Venusatmosphäre auf den Kopf stellen.
„Die Kontroverse um die Phosphin-Detektion unterstreicht, wie viel wir noch über unseren Schwesterplaneten lernen müssen – und wie wichtig dieses Wissen ist, um solche Daten zu interpretieren“, konstatieren die Forscher. (Astrophysical Journal, accepted; arXiv: 2101.09837)
Quelle: University of Washington