Geschoben statt gezogen: Der Atlantik wird stetig breiter, doch der „Motor“ dafür funktioniert offenbar anders als gedacht. Demnach gelangt Magma am Mittelatlantischen Rücken nicht nur passiv aus dem oberen Mantel an die Oberfläche, es quillt aktiv aus dem unteren Erdmantel empor. Die Aufweitung des Ozeans wird demnach ebenso „geschoben“ wie gezogen, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Mittelozeanische Rücken sind die Fabriken neuer Ozeankruste: An diesen feurigen Nahtstellen dringt Magma an die Oberfläche und erstarrt zu neuem Krustengestein. Meist verläuft dies langsam und stetig und unauffällig, aber auch heftige Eruptionen sind möglich.
Aktiv geschoben oder passiv gezogen?
Strittig ist jedoch, was diese Krustenproduktion antreibt. Einer Theorie nach ist das Aufsteigen frischem Magmas am mittelozeanischen Rücken die Triebkraft – die Ozeankruste wird davon zu den Küsten hingeschoben. Die gängigere zweite Theorie sieht dagegen die Zugkraft der an den Ozeanrändern subduzierten Krustenplatten als Motor. Sie ziehen die Ozeankruste zu den Küsten und reißen die mittelozeanischen Rücken auseinander.
Wie es allerdings unter einem mittelozeanische Rücken wirklich aussieht und welche Prozesse dort wirken, ist bislang nur in Teilen bekannt. Chemische Analysen legten aber nahe, dass das an diesen Nahtstellen aufquellende Magma nicht aus dem unteren Erdmantel stammt – anders als bei Hotspots wie beispielsweise unter Island. „Das Magma an mittelozeanischen Rücken wird typischerweise als Schmelze von relativ verarmtem Gestein des oberen Mantels angesehen“, erklären Matthew Agius von der University of Southampton und seine Kollegen.
Aufstrom unterm Mittelatlantischen Rücken
Doch nun belehren uns Messdaten vom mittelatlantischen Rücken eines Besseren. Agius und sein Team hatten dafür 39 Seismometer auf dem Grund des mittelatlantischen Rückens im äquatorialen Atlantik installiert. Dort weichen die ozeanischen Krustenplatten pro Jahr um rund vier Zentimeter auseinander. Das Messnetz erlaubte es den Forschern erstmals, die Struktur des Erdmantels unter dieser Nahtstelle bis in große Tiefen und in hoher Auflösung zu durchleuchten.
Das Ergebnis war überraschend. Denn die Wissenschaftler fanden Indizien dafür, dass an diesem mittelozeanischen Rücken sehr wohl Material aus dem tiefen Erdmantel an die Oberfläche gefördert wird. Dafür sprach unter anderem eine Verlangsamung der seismischen Wellen, die auf eine Zone heißeren, schmelzflüssigeren Materials in der Tiefe hindeutete. Zudem war die in 660 Kilometer Tiefe liegende Übergangszone zum unteren Erdmantel unter der Nahtstelle um rund zehn Kilometer angehoben.
Wie ein Hotspot, nur kühler
„Diese Beobachtungen deuten auf einen Materialtransfer vom unteren in den oberen Erdmantel hin, der mit dem Mittelatlantischen Rücken verknüpft ist“, sagen Agius und seine Kollegen. Das Ungewöhnliche daran: „Solche Aufströme aus dem unteren Erdmantel sind typischerweise mit starken thermischen Anomalien verbunden, durch die Vulkaninseln entstehen.“ Auch Mantelplumes wie unter Island oder Hawaii haben ihren Ursprung im unteren Erdmantel, aber der dem Studiengebiet nächste Hotspot liegt gut 700 Kilometer entfernt.
Nach Ansicht der Wissenschaftler legen ihre Ergebnisse nahe, dass es entgegen bisherigen Annahmen auch unter mittelozeanischen Rücken einen tiefreichenden Aufstrom aus dem unteren Erdmantel gibt. „Diese Aufströme sind wahrscheinlich kühler und zähflüssiger als bei Hotspots“, erklären die Forscher. Denn der thermische Kontrast sei geringer als bei den bekannten Mantelplumes.
Sollte sich dies bestätigen, dann würde dies die Sicht darauf verändern, welche Triebkräfte für die Produktion neuer Ozeankruste an den mittelozeanischen Rücken verantwortlich sind. Denn statt nur passiv auseinander gezogen zu werden und Magma aus dem oberen Erdmantel zu fördern, quillt an diesen Nahtstellen offenbar Magma aus großer Tiefe aktiv nach oben.
Erklärung für die Aufweitung des Atlantik
Das könnte auch erklären, warum sich der Atlantik aufweitet, obwohl an seinen Rändern keine Ozeanplatten durch die Subduktion in die Tiefe gezogen werden. Theoretisch müsste dem Atlantik damit die Zugkraft von den Rändern her fehlen, die gängiger Theorie nach die Krustenproduktion am Mittelatlantischen Rücken antreibt. Doch wenn die „Krustenfabrik“ aktiv von einem Aufstrom angetrieben wird, schiebt dies die Platten auch ohne diesen Zugeffekt auseinander.
„Diese Studie widerlegt die lange gehegte Annahme, nach der mittelozeanische Rücken nur eine passive Rolle für die Plattentektonik spielen“, sagt Koautor Michael Kendall von der University of Oxford. „Stattdessen deutet sie darauf hin, dass die Kräfte an solchen Rücken wie im Mittelatlantik eine wichtige Rolle dabei spielen, die neugebildeten Platten auseinander zu drücken.“ (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-020-03139-x)
Quelle: University of Southampton