Misstrauen unbegründet: Der russische „Sputnik“-Impfstoff ist besser als sein Ruf, wie erste Ergebnisse der Phase-3-Studie nahelegen. Demnach schützt die auf Trägerviren basierende Impfung zu 91,6 Prozent gegen Covid-19 und ist gut verträglich. Die hohe Effizienz wurde auch bei über 60-Jährigen gemessen, wie die Forscher im Fachmagazin „The Lancet“ berichten. Ein Grund für die hohe Effizienz könnte die Kombination von zwei verschiedenen Vektorviren sein.
Der Kampf gegen die Corona-Pandemie nimmt Fahrt auf: Immer mehr Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sind zugelassen oder stehen kurz dafür. Als erste haben die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna die EU-Zulassung erhalten, bei beiden liegt die Wirksamkeit gegen Covid-19 bei rund 95 Prozent. Das auf einem Trägervirus basierende Vakzin von AstraZeneca hat eine etwas geringere Effektivität von im Schnitt 70 Prozent – bei ihm hatten Dosisverwechselungen während der Phase-3-Studie für Verwirrung gesorgt.
Früher Start mit wenig Transparenz
Schon sehr früh an Start waren auch russische Impfstoffforscher: Bereits im Herbst 2020 stellte der russische Präsident Wladimir Putin das am Nationalen Gamaleya-Forschungszentrum entwickelte „Sputnik“- Vakzin vor und erteilte ihm eine Notfallzulassung, obwohl damals die Phase-3-Studie gerade erst begonnen hatte. Diese übereilte Aktion brachte Russland Kritik und dem Impfstoff großes Misstrauen der internationalen Wissenschaftsgemeinde ein.
Jetzt hat das russische Forscherteam um Denis Logunov erste Zwischenergebnisse der Phase-3-Studie im renommierten Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht. „Die Entwicklung des Sputnik-Impfstoffs wurde für ungehörige Eile, das Abkürzen von Ecken und fehlende Transparenz kritisiert“, kommentieren Ian Jones und Polly Roy von der University of Reading. „Aber die jetzt berichteten Resultate sind eindeutig und demonstrieren die wissenschaftliche Grundlage dieser Vakzine.“
Das Prinzip: Trägerviren transportieren das Spike-Protein
Bei dem Sputnik-Vakzin, fachsprachlich Gam-COVID-Vac, handelt es sich um einen auf Trägerviren basierenden Vektor-Impfstoff. Ungefährliche Adenoviren werden dabei gentechnisch so verändert, dass sie das Spike-Protein des Coronavirus SARS-CoV-2 produzieren und auf ihrer Oberfläche tragen. Gelangen sie in den menschlichen Körper, reagiert das Immunsystem auf diese viralen Proteine. Es produziert Antikörper und Abwehrzellen, die das Spike-Protein erkennen und das Virus dort angreifen.
So weit, so bekannt: Auch die Vakzine von AstraZeneca, Johnson&Johnson und einige chinesische Impfstoffe darunter von CanSINO setzen auf Adenoviren als Proteinfähren. AstraZeneca verwendet dabei ein Virus, das bei Menschenaffen Erkältungen auslöst, die anderen Vakzine enthalten meist modifizierte humane Erkältungsviren wie Ad5 oder Ad26. Der Vorteil: Vektor-Impfstoffe sind relativ robust und müssen anders als mRNA-Impfstoffe nicht so stark gekühlt werden.
Viren-Kombination verhindert Immunresistenz
Doch „Sputnik“ ist in einem entscheidenden Punkt anders: Statt nur eines Adenovirus-Typs als Träger verwendet der russische Impfstoff zwei verschiedene. Mit der ersten Dosis bekommen die Impflinge das Trägervirus rAd26-S, mit der zweiten eine modifizierte Version von Ad5. Der Sinn dahinter: Bei normalen Vektor-Impfstoffen kommt es vor, dass das Immunsystem auch auf das Trägervirus reagiert. Es kann dann die zweite Impfdosis unschädlich machen, bevor das aufgesetzte Spike-Protein seine immunisierende Wirkung entfalten kann.
Werden dagegen wie bei Gam-COVID-Vac zwei verschiedene Trägerviren für die beiden Impfdosen verwendet, wird dieser unerwünschte Effekt verhindert. „Eine solche heterologe Erstdosis wird schon seit 20 Jahren diskutiert und experimentell erforscht“, erklärt Alexander Edwards von der University of Reading. „Aber dies könnte die erste großangelegte Studie am Menschen sein, die belegt, wie gut dieser Ansatz gegen eine grassierende Infektion wirkt.“
91,6 Prozent Schutz, gegen schwere Verläufe sogar 100 Prozent
Die Zwischenergebnisse der russischen Phase-3-Studie scheinen dies nun zu bestätigen. Sie beruhen auf 14.964 Probanden die zwei Impfdosen erhalten haben, und 4.902 Teilnehmern in der Placebo-Gruppe. Forscherteams in 25 Krankenhäusern und Polykliniken überwachten den Zustand der Teilnehmer, registrierten Nebenwirkungen und führten bei Auftreten von Covid-19-Symptomen einen PCR-Test durch.
Es zeigte sich: Nach der Gabe der zweiten Dosis traten in der Impfgruppe 16 Fälle von Covid-19 auf. In der kleineren Placebogruppe waren es im gleichen Zeitraum 62 Fälle. Das entspricht einer Schutzwirkung des Vakzins gegen Covid.19 von 91,6 Prozent, wie Logunov und sein Team berichten. Bezogen auf mittelschwere oder schwere Verläufe der Corona-Infektion lag die Schutzwirkung sogar bei 100 Prozent: Keiner der 16 Fälle aus der Impfgruppe entwickelte mehr als nur milde Covid-Symptome.
Hochwirksam auch bei älteren Menschen
Nähere Analysen ergaben, dass die geimpften Probanden sowohl Antikörper als auch T-Zellen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und sein Spike-Protein entwickelten. Damit mobilisiert das Vakzin wie erhofft beide Formen der Immunabwehr. Ähnlich wie bei den anderen Corona-Impfstoffen gab es dabei kaum schwerere Nebenwirkungen. Am häufigsten traten vorübergehend grippeähnliche Symptome, lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen und Erschöpfung auf.
Positiv auch: Unter den Testpersonen dieser ersten Auswertung waren rund 2.000 Teilnehmer höheren Alters – und auch bei ihnen erwies sich „Sputnik“ als wirksam: Nach Angaben der Forscher lag die Impf-Effektivität bei den über 60 Jahre alten Teilnehmern bei 91,8 Prozent. „Unsere Zwischenresultate der randomisierten, kontrollierten Phase-3-Studie von Gam-COVID-Vac zeigen damit eine hohe Effektivität, Immunwirkung und eine gute Verträglichkeit“, sagt Koautorin Inna Dolzhikova vom Nationalen Gamaleya-Forschungszentrum.
Allerdings: Wie schon bei den zuvor zugelassenen Impfstoffen ist auch bei „Sputnik“ bisher nicht sicher, wie lange die Schutzwirkung anhält. Auch ob Geimpfte trotzdem noch ansteckend sein können, ist ungeklärt.
Beitrag im Kampf gegen die Pandemie
Dennoch spricht alles dafür, dass auch der „Sputnik“-Impfstoff einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie leisten könnte. „Um die Pandemie zu stoppen und die globale Nachfrage nach Impfstoffe zu erfüllen, brauchen wir unterschiedliche, auf verschiedenen Mechanismen beruhende Impfstoffe“, sagt Logunov. „Unser Vakzin, gemeinsam mit anderen, trägt zu dieser Diversifizierung bei.“
Ähnlich sieht es Edwards: „Die Impfstoffherstellung wird noch viele Monate lang ein Flaschenhals der Impfkampagnen sein. Je mehr Impfstoffe wir daher haben, desto besser für die globale Gesundheit. Den der einzige Weg, einer globalen Pandemie zu begegnen, ist eine globale Antwort – indem wir Daten, Forschung, Technologien und Medikamente teilen.“ Zurzeit sind weltweit 64 Impfstoffkandidaten in klinischen Tests, davon 13 in Phase-3-Studien. (The Lancet, 2021; doi: 10.1016/S0140-6736(21)00234-8)
Quelle: The Lancet, Science Media Centre UK