Spannende Entdeckung: Die ESA-Raumsonde ExoMars hat erstmals Chlorwasserstoff in der Atmosphäre des Mars nachgewiesen. Dieses Gas entsteht wahrscheinlich, wenn salzhaltiger Staub bei Stürmen in die Marsatmosphäre geschleudert wird und dort reagiert. Rätselhaft ist allerdings, wohin der Chlorwasserstoff dann wieder verschwindet – offenbar laufen in der marsianischen Gashülle noch einige unbekannte Prozesse ab, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science Advances“ erklären.
Die Gashülle des Roten Planeten ist alles andere als vollständig erforscht – im Gegenteil: Immer wieder entdeckten Raumsonden dort Substanzen und Prozesse, die Planetenforschern Rätsel aufgeben. So schwankt der Sauerstoffgehalt der Marsatmosphäre stärker als es bekannte Prozesse erklären können. Und auch das Gas Methan verblüfft durch abruptes Ansteigen und ebenso schnelles Verschwinden. Überraschend auch: In der hohen Atmosphäre gibt es sogar Wolken aus Eis.
Fahndung nach Chlorwasserstoff
Jetzt haben Planetenforscher um Oleg Korablev vom russischen Weltraumforschungsinstitut in Moskau eine weitere, zuvor unbekannte Komponente der Marsatmosphäre entdeckt: Chlorwasserstoff (HCl). Dieses Gas wird in Gegenwart von Wasser zu Salzsäure, kommt aber in geringen Mengen auch in der oberen Erdatmosphäre vor. Dort kann es unter UV-Einwirkung Chlorradikale freisetzen und zum Ozonabbau beitragen.
Auf dem Mars suchen Planetenforscher schon seit längerem nach Spuren von Chlorwasserstoff, denn er könnte theoretisch auf einen aktiven Vulkanismus hindeuten. Doch erst jetzt haben Korablev und sein Team das Gas erstmals nachgewiesen – mithilfe der ESA-Sonde ExoMars Trace Gas Orbiter (TGO). Beide Spektrometer der Sonde detektierten die spektrale Signatur des Chlorwasserstoffs ab Sommer 2018 und bis in das Frühjahr 2019 hinein.
Überraschend weit verteilt
„Dies ist der erste Nachweis von Chlorwasserstoff auf dem Mars und der erste Fund eines Halogengases in der Marsatmosphäre“, erklärt Koautor Kevin Olsen von der University of Oxford. Sein Kollege Håkan Svedhem von der ESA ergänzt: „Hierbei handelt es sich um die erste neue Gasklasse, die seit der Entdeckung von Methan durch die ESA-Marssonde Mars Express im Jahr 2014 bestimmt wurde.“
Das Interessante jedoch: Der Chlorwasserstoff auf dem Mars scheint nicht, wie zuvor vermutet, aus lokalen vulkanischen Ausgasungen zu stammen. Dafür ist seine Konzentration zu hoch und das Gas zu gleichmäßig verteilt, wie die Forscher erklären. Auf der Nordhalbkugel detektierte der TGO ein bis zwei parts per billion (ppb) in Höhen zwischen 15 und 25 Kilometern. Auf der Südhalbkugel waren es zwei bis drei ppb in 20 bis 30 Kilometer Höhe.
„Damit sind die Konzentrationen des Chlorwasserstoffs auf dem Mars mit denen in der oberen Stratosphäre und Mesosphäre der Erde vergleichbar“, erklären die Wissenschaftler.
Salziger Staub als Ursprung?
Doch woher kommt das Gas? Erste Hinweise gibt der zeitliche Verlauf der spektralen Nachweise: Die Sonde detektierte erste Spektralsignaturen von Chlorwasserstoff während des globalen Staubsturms im Sommer 2018. „Das deutet darauf hin, dass physikalische oder chemische Prozesse in den Marsstürmen die Freisetzung des Gases aus dem aufgewirbeltem Staub verursachen“, sagen Korablev und sein Team.
Konkret vermuten sie, dass im Marsstaub enthaltenes Kochsalz (NaCl) und Perchlorat (ClO4–) das Chlorid für das Gas liefern. In der Atmosphäre kommt es dann zu einer Reaktion mit Wasserdampf, durch die über weitere Schritte Chlorwasserstoff entsteht. Welche Reaktionen die chlorhaltigen Moleküle dabei genau in der Atmosphäre des Roten Planeten durchlaufen, ist aber bislang noch ungeklärt.
„Unmögliches“ Verschwinden
Und noch etwas ist ungeklärt: Nach Ende der schweren Staubstürme auf dem Mars verschwand der Chlorwasserstoff überraschend schnell wieder – schneller, als es gängige Modelle erlauben. „Dieser Schwund deutet auf eine unerwartete chemische Senke für dieses Gas hin“, konstatieren die Forscher. „Die vorübergehende Natur des Chlorwasserstoffs sagt uns, dass wir hier noch nicht das ganze Bild sehen – und dass uns ein wichtiger Abbauprozess für das Chlorid entgeht.“
Nach Ansicht von Korablev und seinen Kollegen demonstriert ihre Entdeckung, wie lückenhaft unser Wissen über die Atmosphäre des Roten Planeten und ihre Chemie noch ist. Denn der Nachweis des Chlorwasserstoffs und sein rätselhaftes Verschwinden legen bislang noch unbekannte Wechselwirkungen zwischen Oberfläche und Atmosphäre nahe. „Diesen chemischen Kreislauf gilt es nun zu verstehen“, sagt Olsen.
Die Forscher wollen nun als nächstes Labortests und Modell-Simulationen durchführen, um die möglichen Vorgänge in der Marsatmosphäre zu rekonstruieren. Aber auch die weitere Überwachung des marsianischen Chlorwasserstoffs mithilfe des Trace Gas Orbiter soll dabei helfen, die zeitlichen und räumlichen Zusammenhänge besser zu verstehen. (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abe4386)
Quelle: European Space Agency ESA