Umwelt

Ostsee: Uran unbekannter Herkunft entdeckt

Kontamination könnte aus schwedischer Nuklearanlage oder illegal deponiertem Atomabfall kommen

Ostsee
Aufnahme der südlichen Ostsee von der Internationalen Raumstation aus. In der zentralen Ostsee haben Forscher jetzt erhöhte Uran-236-Werte gefunden. © NASA/JSC

Täter unbekannt: In der Ostsee haben Forscher Spuren von radioaktivem Uran aus einer noch unbekannten Quelle entdeckt. Aufgespürt haben sie dies durch erhöhte Werte des anthropogenen Isotops Uran-236 in der mittleren und nördlichen Ostsee. Als mögliche Verursacher der Kontamination kommen eine schwedische Nuklearanlage oder illegal am Meeresgrund deponierte Atomabfälle beispielsweise von U-Boot-Reaktoren in Frage, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.

Das radioaktive Element Uran kommt auf der Erde natürlich vor – beispielsweise als Erz oder auch im Meerwasser. Doch es gibt auch Uran-Isotope, wie Uran-236, die erst durch Atomreaktoren, Aufbereitungsanlagen oder bei Kernwaffentests entstanden sind. Spuren davon finden sich mittlerweile ebenfalls fast überall in Luft, Boden und Wasser. Eine Uran-Kontamination eindeutig einer Quelle zuzuordnen, ist daher normalerweise schwierig.

Uran-Fahndung in der Ostsee

Doch es gibt einen Trick: Man kann das Verhältnis der Uran-Isotope 233 und 236 bestimmen. Weil Uran-233 nur bei Atomexplosionen frei wird, kann man über diesen „Fingerabdruck“ den Kernwaffen-Fallout der 1950er und 1960er Jahre von aktuelleren Kontaminationen unterscheiden. „In Kombination mit anderen Radionukliden wie Iod-129 kann das Uran-Isotopenverhältnis zudem dabei helfen, den Transport von Uran-236 zu bestimmten Quellen zurückzuverfolgen“, erklären Jixin Qiao von der Technischen Universität Dänemark und ihre Kollegen.

Wie gut das konkret funktioniert, haben die Forscher aktuell in der Ostsee untersucht. Für ihre Studie analysierten sie Wasser- und Sedimentproben, die zwischen 2011 und 2016 aus allen Bereichen der Ostsee entnommen worden waren. Wie erwartet fanden sich in allen Proben Spuren von Uran-233 und Uran-236 aus dem Kernwaffen-Fallout.

Zudem gab es vor allem im Skagerrak und Kattegat leicht erhöhte Spuren von Uran-Kontaminationen. Diese werden mit den Strömungen aus der Nordsee und den dort liegenden Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield und La Hague in die Ostsee eingetragen, wie Qiao und ihre Kollegen erklären.

Uran 233/236
Im Modell ermittelte Abweichungen des Uran-233/236-Verhältnisses von dem für die Ostseegebiete Normalen.© Qiao et al/ Nature Communications, CC-by-sa 4.0Ostsee

Unbekannte Quelle in der zentralen Ostsee

Aber das ist nicht alles: Zusätzlich zu diesen bekannten Quellen radioaktiver Kontamination stießen die Forscher auch auf eine weitere Auffälligkeit: In der zentralen und nördlichen Ostsee waren die Uran-236-Werte ebenfalls deutlich erhöht. Sie lagen im Schnitt um das Dreifache höher als im Skagerrak und Kattegat. „Dieses Muster spricht für eine weitere, wahrscheinlich lokale Quelle von Uran-236 in der Ostsee“, konstatieren die Wissenschaftler. Auch der Abgleich mit den Messwerten für Iod-129 lege dies nahe.

Woher aber stammt dieses Uran? Um das herauszufinden, nutzte das Team eine Modellsimulation, die die Messwette mit Zuströmen, Meeresströmungen und Salzgehalten in Bezug setzt. „Die Daten zeigen, dass das Reaktor-Uran nicht von Orten kommt, an denen Flüsse einströmen oder der Salzgehalt besonders niedrig ist“, so die Forscher. „Stattdessen kommt es aus Quellen, die direkt in den mittleren und nördlichen Becken der Ostsee liegen müssen.“

Aus schwedischer Atomanlage ausgetreten?

Das weckt die Frage, welche möglichen Quellen von verarbeitetem Uran es in diesen Meeresbereichen gibt. Eine naheliegende Option wäre ein Atomkraftwerk oder eine andere Nuklearanlage in einem der Anrainerstaaten, wie die Forscher erklären. Aus den relativ hohen Konzentrationen nahe Stockholm schließen sie, dass die schwedische Anlage Studsvik dafür in Frage kommen könnte.

„Unsere Uran-236-Messungen in einigen Sedimentproben aus dem Gebiet vor Studsvik zeigen einen sehr hohen Wert von 20,2 Billionen Atomen pro Kilogramm“, berichten Qiao und ihre Kollegen. „Das ist drei Größenordnungen höher als in Sedimentproben aus der nördlichen Ostseeregion.“ Die Forscher halten es daher für sehr wahrscheinlich, dass die Urankontamination zumindest in Teilen aus dem Abwasser oder deponierten Abfällen der Anlage stammt. „Das ist unser plausibelster Kandidat“, schreiben sie.

…oder aus alten U-Boot-Reaktoren „entsorgt“?

Allerdings gibt es noch einen weiteren Kandidaten: Illegal entsorgter Atommüll beispielsweise aus den Reaktoren von Atom-U-Booten. „Die ehemalige Sowjetunion wurde bereits beschuldigt, radioaktive Abfälle in der Ostsee entsorgt zu haben, aber wie viel dies sein könnte, lässt sich nicht ermitteln“, berichten die Wissenschaftler. Sie schließen daher nicht aus, dass zumindest ein Teil der jetzt detektierten Uran-Kontamination auch aus solchen Quellen stammt.

Der Ausmaß der Uran-Kontamination ist allerdings insgesamt gesehen extrem gering, wie die Forscher betonen. Die toxische und radioaktive Wirkung dieser Uranspuren sei daher vernachlässigbar. Aber sie halten es dennoch für wichtig, der Verunreinigung weiter nachzugehen. Zum einen könnten neben dem Uran aus dieser Quelle noch andere Radionuklide freigesetzt werden. Zum anderen können Klima- und Umweltveränderung die Freisetzung künftig verstärken.

„Es ist wichtig, die Quellen anthropogener Radio-Isotope in der Ostsee zu kennen, damit man künftige radiologische Risiken durch Überwachung und Vorbeugung vermeiden kann“, konstatieren Qiao und ihr Team. (Nature, Communications, 2021; doi: 10.1038/s41467-021-21059-w)

Quelle: Universität Wien

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