Wie Sherlock Holmes: Gedächtniskünstler merken sich Dinge, indem sie sie gedanklich mit vertrauten Orten verknüpfen. Diese sogenannte Loci-Methode hilft auch Laien, wie Forscher nun herausgefunden haben. Bei Probanden, die den „Gedächtnispalast“ nutzten, arbeiteten bestimmte Hirnregionen effektiver. Zudem bildeten sich neuronale Verbindungen, die die Gedächtnisleistung auch auf Dauer verbesserten.
Ob eine Ziffernreihenfolge oder die Namen hunderter Bushaltestellen – Gedächtniskünstler können sich Unglaubliches merken. Grund dafür sind stärkere Verknüpfungen im Gehirn. Um diese auszubilden, nutzen die Profis spezielle Gedächtnistrainings, die die kognitive Leistungsfähigkeit erhöhen und sogar Demenz vorbeugen können. Eine uralte Variante dieser Mnemotechniken ist die sogenannte Loci-Methode, bei der man Erinnerungen mit Orten verknüpft.
Rollende Äpfel im Treppenhaus
So kann man sich zum Beispiel seine Einkaufsliste mithilfe des vertrauten Fußwegs zum Supermarkt einprägen: Dafür stellt man sich einen Sack Äpfel vor und verknüpft ihn mit dem Treppenhaus, das man auf dem Weg als erstes betritt. Dafür erstellt man ein lebendiges Bild im Kopf, zum Beispiel wie die Äpfel die Treppen hinunterrollen.
Möchte man zudem ein Paket Milch kaufen, kann man sich gedanklich vorstellen, wie die Milch vor der Haustür ausläuft. Und die Packung Müsli kann etwa im Vorgarten des Nachbarn liegen. Beim Einkaufen muss man dann nur noch gedanklich den Weg abgehen und erinnert sich an alle Lebensmittel, die auf der Liste standen.
Auch für Anfänger geeignet?
Gedächtnismeister wenden die Loci-Methode wiederholt im Training an, um sich vor allem kurzfristig zum Beispiel eine Reihenfolge an Zahlen oder Namen merken zu können. Ob davon aber auch Laien profitieren, haben nun Wissenschaftler um Isabella Wagner von der Universität Wien untersucht. Dabei wollen sie auch ergründen, ob das Training zusätzlich helfen kann, sein Langezeitgedächtnis zu verbessern.
Dafür verglich das Team die Gedächtnisleistungen von rund 20 Gedächtnissportlern mit 16 Kontrollpersonen. In einem zweiten Versuch testeten die Forscher die Leistung von 50 Laien, die entweder ein sechswöchiges Training mit der Loci-Methode, ein anderes Gedächtnistraining oder gar keins mitgemacht hatten.
Bei beiden Tests wurde die Gehirnaktivität mittels Magnetresonanztomographie (MRT) gemessen, während die Probanden Wörter auswendig lernten und sich dann an das Gelernte erinnerten sowie in der Ruhephase danach. Nach vier Monaten testeten die Forscher schließlich das Langzeitgedächtnis der Laien.
Selbst Laien hilft die Methode
Und tatsächlich: Nicht nur die Gedächtnissportler merkten sich signifikant mehr Worte als die Kontrollgruppe, sondern sogar die Laien konnten durch nur rund 30 Minuten tägliches Training mit der Loci-Methode eine längere Liste an Gegenständen auswendig lernen. Während sie durchschnittlich etwa 50 Wörter frei abrufen konnten, erinnerte sich die Kontrollgruppe mit der anderen Lernmethode nur an rund 30 Wörter und die untrainierten Probanden an etwa 27 Wörter.
Das konnten die Forscher auch anhand der MRT-Bilder der Gedächtnissportler und der Anfänger der Loci-Lerntechnik nachweisen: Demnach arbeitete das Gehirn durch das Training mit dem sogenannten Gedächtnispalast effizienter. „Grundsätzlich konnten wir feststellen, dass diese Methode zu einer effizienteren Verarbeitung in Gehirnregionen geführt hat, die mit dem Gedächtnis und räumlicher Orientierung im Zusammenhang stehen“, sagt Wagner.
So waren insbesondere bei den Gedächtnissportlern während des Auswendiglernens und des Erinnerns der Wörter Bereiche im Frontallappen und in der Nähe des Hippocampus weniger aktiviert. Diese Beobachtung bestätigte sich bei den Laien, die mit der Mnemotechnik trainiert hatten: Je besser ihre Leistung beim Erinnern von Wörtern war, desto stärker verringerte sich ihre Gehirnaktivität in diesen Hirnregionen. „Ein Gehirn, das in Übung ist, kann mit weniger Aktivierung eine bessere Leistung erbringen“, erklärt Wagner.
Methode mit Langzeitwirkung
Interessant dabei: Die Teilnehmer, die erstmals mit der Methode gelernt hatten, konnten sich auch bei den Tests nach vier Monaten an mehr Inhalte erinnern als die anderen Testpersonen. Denn bei ihnen hatte sich nicht nur die Aktivierung der aufgabenbezogenen Hirnareale verringert, sondern in den Ruhepausen nach dem Lernprozess hatte sich auch die Anzahl der neuronalen Verbindungen erhöht, durch die neue Informationen als langfristige Erinnerungen gespeichert wurden.
So zeigten sich insbesondere bei sehr leistungsstarken Probanden des Loci-Gedächtnistrainings stärkere Verbindungen zwischen dem Hippocampus und Teilen der Großhirnrinde. „Diese Veränderung in der Verbindung des Gehirns weist darauf hin, dass Erinnerungen nach dem Einüben gefestigt werden, wodurch diese langfristig gespeichert werden können“, so die Wissenschaftler.
Möglicherweise universelle Lerntechnik
Damit deuten die Ergebnisse nicht nur darauf hin, dass die Loci-Lernmethode selbst die Gedächtnisleistung von Anfängern erhöht. Sondern sie legen auch nahe, dass diese Technik nützlich sein könnte, um sich Erinnerungen dauerhaft besser einzuprägen. (Science Advances, 2021, doi: 10.1126/sciadv.abc7606)
https://advances.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/sciadv.abc7606
Quelle: Universität Wien