Am 11. März 2011 erlebt Japan eine dreifache Katastrophe: Zuerst verwüsten ein Erdbeben der Stärke 9.0 und ein Tsunami weite Teile der nördlichen Ostküste von Honshu, dann zeigt sich, dass auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi betroffen ist – in fataler Weise. Die Naturereignisse, gekoppelt mit gravierenden Sicherheitsmängeln am Kraftwerk und Fehlentscheidungen des Betreibers Tepco, lösen eine Reaktorkatastrophe aus. Sie geht als zweitschwerstes Atomunglück nach Tschernobyl in die Geschichte ein.
Was während der entscheidenden Minuten und Stunden in Fukushima Daiichi geschieht und welche Folgen dies für die Reaktorkerne und den Fallout hat, wird teilweise erst Jahre später aufgedeckt.
Beben und Tsunami
Klar ist jedoch, dass die Reaktorblöcke 1-3 zunächst wie geplant mit einer Schnellabschaltung auf das Erdbeben reagieren. Doch der 15 Meter hohe Tsunami, der eine gute halbe Stunde später auf die Küste trifft, überflutet die Schutzmauer des Kraftwerks und überschwemmt die Reaktorgebäude, Schaltzentralen und zwölf der 13 im Keller stehenden Notstrom-Dieselgeneratoren. Die Leitungen zu weiteren, außerhalb stehenden Generatoren werden gekappt.
Als Folge bricht die Stromversorgung der Reaktoren und des Kühlkreislaufs zusammen, die gesamte Elektronik der Kontrollräume fällt aus. Die Kraftwerksangestellten haben damit keinen Einblick und keine Kontrolle mehr darüber, was in ihren Reaktoren geschieht.
Gefahren ignoriert
Doch die Überflutung durch den Tsunami war weder unvorhersehbar noch unvermeidbar. „Ein Hauptfaktor, der zu dem Unfall beitrug, war die in Japan weitverbreitete Annahme, dass Atomkraftwerke so sicher sind, dass ein Atomunfall dieser Größenordnung einfach undenkbar schien“, konstatierte ein Bericht der Internationalen Atomenergieagentur IAEA im Jahr 2015. Als Folge wurden schwerwiegende Sicherheitsmängel in der Konstruktion der Anlage ignoriert – sowohl vom Betreiber Tepco wie von den Behörden.
„Diskussion gab es, gehandelt wurde jedoch nicht“, berichtet die World Nuclear Association. Schon im Jahr 2008 legten Wissenschaftler des Kraftwerksbetreibers Tepco eine Studie vor, nach der in dieser Region mit Tsunamihöhen von bis zu zehn Metern gerechnet werden muss. Auch andere Gutachten kommen in dieser Zeit zu dem Schluss, dass Schutzmauern und andere Sicherheitsmaßnahmen küstennaher Atomkraftwerke auf Pegel von mindestens zehn Metern ausgelegt sein müssen.
Behörden schauten weg
Während andere Kraftwerke, darunter auch das unmittelbar benachbarte Atomkraftwerk Fukushima Daini, entsprechend gebaut oder umgerüstet werden, bleibt Fukushima Daiichi unverändert. Stattdessen laciert Tepco 2010 einen internen Gegenbericht, in dem von einer maximalen Tsunamihöhe von 5,7 Metern ausgegangen wird – das enthüllen Auswertungen hunderter, teils interner Dokumente. Auch die Platzierung der Dieselgeneratoren im flutgefährdeten Keller der Anlage und die fehlende Wasserschutz-Verkapselung werden weder beanstandet noch geändert.
„Die Fukushima-Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn interne Standards befolgt worden wären, wenn es internationale Reviews gegeben hätte und man den gesunden Menschenverstand genutzt hätte, um existierende geologische und hydrodynamische Fakten zu bewerten“, konstatieren Costas Synolakis von der University of Southern California und sein Team in ihrer Studie von 2015.
Die Konsequenzen zeigen sich am 11. März 2011. Während Fukushima Daini Erdbeben und Tsunami weitgehend unbeschadet übersteht, kommt es in Fukushima Daiichi zur Katastrophe.
Kernschmelze und Wasserstoffexplosion
Inzwischen weiß man, dass der Kühlwasserstand im Reaktorblock 1 durch den Ausfall der Stromversorgung schon drei Stunden nach dem Erdbeben bis auf die Höhe der Brennstäbe abgesunken ist. Vier Stunden nach dem Beben erreichen die Temperaturen im Reaktorkern 2.800 Grad und die Brennstäbe aus Urandioxid-Pellets mit Zirkonium-Umhüllung beginnen zu schmelzen. Das Zirkonium verliert damit nicht nur seine abschirmende Wirkung, es reagiert auch mit dem Wasserdampf und erzeugt Wasserstoff. Dieser lässt den Druck im Reaktorbehälter immer weiter ansteigen.
Am 12. März gegen 15:36 Uhr Ortszeit kommt es zu einer ersten Wasserstoffexplosion, die das Dach und den oberen Teil des Reaktorblocks 1 absprengt und radioaktive Zerfallsprodukte freisetzt. Tief unten im Reaktorkern hat sich die heiße Brennstoffmasse inzwischen durch den Boden des Druckbehälters gebrannt und ist rund 65 Zentimeter in das 2,60 Meter dicke Betonfundament eingesunken.
In den Reaktorblöcken 2 und 3 hält die Kühlung dank eines verbliebenen Dieselgenerators und Batterien 70 beziehungsweise 36 Stunden länger an, bevor es auch dort zum Kühlungsausfall und zur Überhitzung kommt. Auch in diesen Reaktorkernen kommt es in der Folge zur Überhitzung, Wasserstoffexplosion und einer Kernschmelze.
Verhindert werden hätte diese Eskalation nur durch eine sofortige Flutung der Reaktoren mit Meerwasser. Doch der Kraftwerkbetreiber Tepco zögert dies zunächst hinaus, weil diese Maßnahme das unwiederbringliche Aus für das Kraftwerk bedeutet hätte. Die Kühlung mit Meerwasser geschieht erst auf Druck der japanischen Behörden – und zu spät. Im Reaktorblock 1 startet das Einpumpen von Meerwasser erst 28 Stunden nach dem Beben – vier Stunden nach der beginnenden Schmelze des Kerns und nach der ersten Wasserstoffexplosion. Auch bei den anderen Blöcken erfolgt die Flutung zu spät.