Der GAU in Fukushima hat weltweit einen Schock ausgelöst und das Misstrauen gegenüber der Atomkraft in vielen Länder verstärkt. Schon zum zweiten Mal gab es bei dieser lange als sicher geltenden Technologie einen katastrophalen Unfall – und das im hochtechnisierten Japan.
Ausstieg und Abschaltung
In Deutschland trug dies entscheidend dazu bei, dass die von Angela Merkel geführte Regierung kurze Zeit später ihre früheren Zeitpläne über den Haufen warf und einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie einleitete. Auch andere Länder wie Südkorea, die Schweiz, Belgien und Spanien beschlossen unter dem Eindruck der Atomkatastrophe den Atomausstieg – zumindest auf dem Papier.
In Japan wurden noch im März 2011 alle 54 Atomreaktoren des Landes abgeschaltet. Die Stromversorgung wurde in den Folgejahren größtenteils auf fossile Brennstoffe umgestellt. Noch im Jahr 2019 verkündete der damalige Umweltminister Shinjiro Koizumi, dass er für Japan den Ausstieg aus der Atomenergie anstreben wolle – um ein zweites Fukushima-Desaster zu vermeiden. Inzwischen sind allerdings neun der Atomkraftwerke wieder am Netz und weitere sollen folgen.
Schon wieder ein Zwischenfall
Wie berechtigt Koizumis Befürchtungen waren, demonstrierten im Februar 2021 zwei Zwischenfälle im Atomkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa nördlich von Fukushima. Zuerst kam heraus, dass ein Angestellter sich mit dem Werksausweis eines Kollegen Zutritt zum zentralen Kontrollraum des Kraftwerks verschafft hatte. Die japanische Atomaufsichtsbehörde stufte diesen nicht autorisierten Zugang als potenzielle Gefahr für die Sicherheit ein.
Am 13. Februar 2021 ereignete sich vor der Küste ein schweres Erdbeben der Stärke 7,3 – für Japan war es das stärkste Beben seit dem 11. März 2011. Durch die Erschütterungen schwappte in mehreren Reaktorbecken des Kraftwerks Kashiwazaki-Kariwa radioaktives Wasser über den Rand, gleichzeitig fiel der Wasserstand in zwei der Reaktorbehälter, wie aus einem Bericht an die Atomaufsichtsbehörde hervorgeht. Die fallenden Pegel könnten ein Indiz dafür sein, dass die Hülle durch das Erdbeben beschädigt wurde oder dass bestehende Risse vergrößert wurden.
Im Nachhinein kam zudem heraus, dass die für eine Notabschaltung nötigen Seismometer in zwei der Reaktorgebäude schon seit einem Jahr defekt waren und nicht ausgetauscht wurden. Der Betreiber dieses Atomkraftwerks ist – wie in Fukushima – die Firma Tepco. „Die Art, wie dieses Unternehmen die Dinge managt, deutet für mich daraufhin, dass sie ihre Lektion vom März 2011 nicht gelernt haben“, kommentierte Hajime Matsukubo vom Citizens‘ Nuclear Information Centre in Tokio diese Ereignisse in der Deutschen Welle.
Energiegewinnung zwischen Teufel und Beelzebub
Trotz dieser Vorkommnisse bahnt sich in Japan eine Renaissance der Atomkraft an. Denn der aktuelle Energiemix verträgt sich schlecht mit den Klimaschutzzielen der japanischen Regierung. Sie will Japan bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen. Im Energiesektor ist dies jedoch nur möglich, wenn auf fossile Brennstoffe weitgehend verzichtet und auf erneuerbare Energien umgestellt wird.
In Japan sind allerdings wegen der sehr bergigen, waldreichen Topografie die Möglichkeiten für die Onshore-Windkraft und die Photovoltaik begrenzt. Zumindest vorübergehend sieht die japanische Regierung daher die Atomkraft als klimafreundlichere Alternative zu Kohle, Gas und Öl. Der aktuelle Plan für den Energiemix bis 2030 sieht vor, 22 bis 24 Prozent des Energiebedarfs über erneuerbare Energien abzudecken und 20 bis 22 Prozent über die Atomenergie.
Nichts nur Japan, auch andere Länder sehen sich angesichts der nötigen Reduktion von Treibhausgasen vor der Frage, welches das kleinere Übel ist: die im Unglücksfall hochgefährliche Atomenergie, mit deren Folgen noch Generationen leben müssen und für deren Abfälle es bis heute kein richtiges Endlager gibt – oder aber ein Versagen im Klimaschutz durch die Weiternutzung fossiler Energien.
China – der größte Emittent von CO2 weltweit, setzt in dieser Frage ganz auf die Atomenergie und entwickelt neue Reaktortypen, an denen auch andere Länder bereits Interesse bekundet haben. Andere Länder wie Belgien planen zwar theoretisch einen Ausstieg aus der Atomenergie, zögern aber mit der Umsetzung und halten selbst 40 Jahre alte Reaktoren noch am Netz.