Der Erste seiner Art: Forscher haben erstmals rekonstruiert, wie der Urahn aller Bakterien aussah und lebte. Demnach war dieses stäbchenförmige Ur-Bakterium anaerob und entstand vor rund 3,5 Milliarden Jahren in hydrothermalen Schloten. Es besaß bereits die Gene und zentralen Stoffwechselwege, um alle 57 essenziellen Biomoleküle zu produzieren. Seine nächsten heute noch lebenden Verwandten sind Bakterien der Gattung Clostridium.
Wann entstanden die ersten Zellen – und wo? Bisher ist diese Frage weitgehend unbeantwortet. Mikrofossilien und chemische Signaturen in uraltem Gestein legen aber nahe, dass es schon vor gut 3,5 Milliarden Jahren erste einzellige Lebensformen gegeben haben könnte. Eines der Enzyme dieses Vorfahren allen Lebens haben Forscher vor einigen Jahren rekonstruiert. Aus den allerersten Zellen entwickelten sich zuerst Bakterien und Archaeen, die ältesten Lebensformen unseres Planeten.
Fahndung im Erbgut anaerober Bakterien
Doch wie sah der Urahn aller Bakterien aus, wo lebte er und wie ernährte er sich? Auf diese Fragen haben nun Joana Xavier und ihre Kollegen von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Antwort gefunden. Dafür fahndeten sie im Erbgut von 1.089 Bakteriengruppen nach Genen, die bei möglichst vielen vorhanden sind und die fundamentale Stoffwechselfunktionen codieren. Denn das legt nahe, dass diese Gene und ihre Proteinprodukte besonders ursprünglich sind.
Die Forschenden engten ihre Fahndung dabei auf anaerobe Bakterien ein. „Da Bakterien entstanden, als es auf der Erde noch keinen freien Sauerstoff gab, mussten wir uns nicht ansehen, wie sich Bakterien heute den Sauerstoff nutzbar machen. Denn diese Mechanismen entwickelten sich evolutionsgeschichtlich erheblich nach den ersten Bakterien“, erklärt Xavier. Ähnlich wie die heutigen anaeroben Mikroben muss daher auch ihr Urahn seine Energie durch alternative Stoffwechselwege wie die Fermentation, die Sulfatreduktion und Produktion von Methan oder Säuren gewonnen haben.
146 Proteinfamilien vom Urahn
Die vergleichende Genanalyse ergab: Die Gene für 146 Proteinfamilien sind noch heute in fast allen anaeroben Bakterien vorhanden. „Diese Gene sind nahezu universell und gehören zu den am stärksten von Generation zu Generation weitergegebenen Genen in Prokaryoten“, berichtet das Forschungsteam. Etwa die Hälfte der von diesen Genen codierten Proteine sind an der Gen- und Proteinsynthese und anderen strukturellen Funktionen beteiligt, die andere Hälfte gehört zum Stoffwechselapparat.
Diese Proteine bilden bereits ein nahezu vollständiges metabolisches Kernnetzwerk. Der gemeinsame Vorfahre aller heutigen Bakterien konnte mit nur neun weiteren, im Laufe der Evolution verloren gegangenen Genen alle lebensnotwendigen Zellfunktionen abdecken, wie Xavier und ihr Team berichten. So konnte das Ur-Bakterium alle 57 essenziellen Biomoleküle herstellen: die 20 Aminosäuren, vier DNA-Basen, acht universelle Co-Faktoren, Glycerin-Triphosphat als Fettvorläufer und 20 geladene transfer-RNAs.
Ein stäbchenförmiger Tiefseebewohner
Anhand dieser Daten gelang es den Wissenschaftler, die Lebensweise des Bakterien-Urahns zu rekonstruieren. Demnach waren diese ersten Bakterienzellen autotrophe Organismen, die ihre Energie und Nährstoffe durch den sogenannten reduktiven Acetyl-CoA-Stoffwechselweg gewannen. Dies ermöglichte es ihnen, Zucker und kohlenstoffhaltige Biomoleküle aus Sulfat, Pyruvat und anderen in ihrer Umwelt vorhandenen Rohstoffen zu erzeugen.
Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Ur-Bakterium stäbchenförmig war und an hydrothermalen Schloten lebte – möglicherweise in der urzeitlichen Tiefsee. Dort lieferte das warme, mit Mineralien angereicherte Wasser aus den vulkanischen Schloten diesen frühen Zellen die Umweltbedingungen, die sie für ihr Überleben brauchten. „Dieses unabhängig gewonnene Ergebnis bestätigt auch unsere jüngsten Erkenntnisse über den Ursprung und die frühe Entwicklung des Lebens in hydrothermalen Schloten“, sagt Seniorautor Wiliam Martin.
Konnte das Ur-Bakterium Sporen bilden?
Auch zu den engsten heutigen Verwandten des Ur-Bakteriums haben Xavier und ihre Team neue Erkenntnisse: „Die modernen Clostridien sind die nächsten Verwandten des Bakterien-Urahns“, berichtet Koautor Fernando Tria. Zu dieser grampositiven, sporenbildenden Bakteriengruppe gehören Krankheitserreger und Fäulnisbakterien, aber auch das toxin-produzierende Clostridium botulinum sowie harmlose Bodenmikroben.
„Wenn das Ur-Bakterium den Clostridien ähnlich war, war es möglicherweise auch in der Lage, Sporen zu bilden“, sagt Xavier. Diese Hypothese wurde kürzlich von anderen Forschern aufgestellt „und sie ist sehr gut mit unseren Ergebnissen vereinbar“, so die Forscherin. Mittels Sporen hätten die frühen Zellen in der unwirtlichen Umgebung der frühen Erde besser überleben können. (Communications Biology, 2021; doi: 10.1038/s42003-021-01918-4)
Quelle: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf