Verblüffender Unterschied: Obwohl sich schweres Wasser nur in seinem Wasserstoff-Isotop Deuterium vom normalen Wasser unterscheidet, verhält es sich auch biochemisch anders, wie eine Studie enthüllt. Anders als normales H2O löst es in unseren Geschmacksrezeptoren eine Reaktion aus. Dadurch schmeckt schweres Wasser nicht neutral, sondern leicht süß. Der Nachweis dieser Reaktion klärt eine schon seit fast 100 Jahren bestehende Kontroverse.
1931 entdeckte der Chemiker Harold Urey, dass das Element Wasserstoff ein schweres Isotop besitzt. Etwa eines von 6.400 in der Natur vorkommenden Wasserstoffatomen trägt ein zusätzliches Neutron im Kern und wird so zu Deuterium. Reagiert dieses Deuterium mit Sauerstoff, entsteht schweres Wasser (D2O). Obwohl dieses eine um rund zehn Prozent höhere Dichte und leicht abweichende Gefrier- und Siedepunkte besitzt, reagiert schweres Wasser aber chemisch genauso wie sein normaler Gegenpart.
Schmeckt schweres Wasser anders?
Doch an einem Punkt scheiden sich die Geister schon seit der Zeit von Urey: „Es gab anekdotische Berichte aus den 1930ern, nach denen sich der Geschmack von schwerem Wasser von dem des normalen, neutral schmeckenden H2O unterscheidet“, erklären Natalie Ben Abu von der Hebräischen Universität Jerusalem und ihre Kollegen. Demnach sollte das D2O leicht süßlich schmecken.
Urey ging diesen Gerüchten gemeinsam mit einem Kollegen nach und konstatierte im Jahr 1935: „Keiner von uns konnte den geringsten Unterschied im Geschmack von gewöhnlichem destilliertem Wasser und dem Geschmack von reinem schweren Wasser feststellen.“ Das setzte den Mutmaßungen ein Ende und kaum noch jemand ging der Frage weiter nach – bis jetzt.
Deutliche Süße
Ben Abu und ihr Team haben die Geschmacksfrage nun noch einmal mit modernen Methoden untersucht. Dafür führten sie Geschmackstests mit menschlichen Probanden und Mäusen durch, analysierten das Bindeverhalten des schweren Wassers an Zellkulturen von Geschmacksrezeptoren und führten biophysikalische Modellierungen durch.
Das überraschende Ergebnis: Urey hatte Unrecht. „Trotz der Tatsache, dass die beiden Isotope chemisch eigentlich identisch sind und auch gleich schmecken müssten, haben wir eindeutig belegt, dass Menschen H2O und D2O am Geschmack unterscheiden können“, berichtet Koautor Pavel Jungwirth von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag. „Schweres Wasser hat demnach einen deutlich süßen Geschmack.“
Menschlicher Süßrezeptor reagiert
Merkwürdigerweise scheinen Mäuse diese Süße aber nicht wahrzunehmen: In den Tests zeigten sie keinerlei Vorliebe für schweres Wasser, obwohl sie normalerweise durchaus empfänglich für Süßes sind. Offenbar reagierten ihre Geschmackrezeptoren nicht auf das mit Deuterium angereicherte Wasser. Die Wissenschaftler vermuteten daher, dass D2O einen Süßrezeptor aktiviert, den nur wir Menschen, nicht aber die Mäuse besitzen.
Tatsächlich zeigte ein ergänzender Versuch mit menschlichen Probanden: Wurde dem schweren Wasser ein Hemmstoff für diesen TAS1R2/TAS1R3-Rezeptor zugesetzt, schmeckten auch sie bei D2O keine Süße mehr. In Zellkulturen konnten die Forschenden zudem beobachten, wie dieser Rezeptor in Gegenwart von schwerem Wasser elektrophysiologisch ansprach. Schon ein Anteil von zehn Prozent schwerem Wasser in der zugesetzten Wasserprobe reichte für diese Reaktion aus.
Mechanismus noch rätselhaft
„Dieses Ergebnis bestätigt, dass das schwere Wasser seine Süße durch den Geschmackssensor TAS1R2/TAS1R3 erhält“, konstatiert das Forscherteam. „Unsere Studie klärt damit eine alte Kontroverse um den Geschmack des schweren Wassers. Menschen können schweres und normales Wasser demnach sehr wohl am Geschmack unterscheiden.“
Warum das so ist und warum dieser Süßrezeptor überhaupt auf das schwere Wasser reagiert, ist allerdings noch offen. Denn wie die Forschenden erklären, verursacht das Deuterium im Wassermolekül zwar eine etwas stärkere Bindung zum Sauerstoff und verändert damit leicht die Quantenzustände im Molekül. Dadurch verändern sich auch die molekularen Vibrationen und die Proteine des Rezeptors scheinen etwas fester und kompakter als in reinem Wasser.
Doch warum das ausreicht, das Rezeptorprotein zu beeinflussen, konnten auch die Modelle nicht klären. Hier hoffen die Wissenschaftler auf Ergebnisse künftiger Analysen.
Reaktion auch in anderen Körpergeweben?
Interessant ist der neu entdeckte Süßeffekt jedoch nicht nur als Kuriosität: Schweres Wasser wird in der Medizin auch als Kontrastmarker, beispielsweise in der Kernspintomografie eingesetzt. „Weil der Süßrezeptor nicht nur auf der Zunge, sondern auch in anderen Geweben des menschlichen Körpers vorkommt, ist unsere Entdeckung, dass schweres Wasser bei ihm Reaktionen hervorruft, auch für Ärzte und ihre Patienten relevant“, schreiben Ban Abu und ihre Kollegen. (Communications Biology, 2021, doi: 10.1038/s42003-021-01964-y)
Quelle: Czech Academy of Sciences (IOCB Prague)