Archäologie

Ist das die älteste Karte Europas?

Rund 4.000 Jahre alte Steintafel zeigt frühe Kartendarstellung der Umgebung

Steinkarte
Diese 4.000 Jahre alte Steinplatte aus der Bretagne könnte eine bronzezeitliche Karte sein. Denn ihre Oberfläche und die dort eingeritzten Linien bilden Merkmale der umgebenden Landschaft ab. © Bournemouth University

In Stein geritzte Landschaft: Eine rund 4.000 Jahre alte Steinplatte aus der Bretagne könnte die älteste Karte Europas darstellen. Das Relief ihrer Oberfläche bildet die Topografie der umgebenden Landschaft nach und eingeritzte Linien zeigen den Verlauf von Flüssen. Weil zusätzlich noch abstrakte Muster auf der gut zwei Meter langen Platte eingeritzt sind, fiel die Karte 100 Jahre lang niemandem auf. Erst jetzt haben Forscher sie entdeckt.

Karten gehören heute zum Alltag. Doch wann begannen die Menschen, Wege und Landschaftsformen erstmals in Zeichnungen wiederzugeben? Ein Wandbild in der Steinzeitstadt Catalhöyük könnte einen der ersten Stadtpläne darstellen – diese Interpretation ist aber umstritten. Klar scheint dagegen, dass es spätestens in der Antike echte Karten gab und auch frühe Entdeckungsreisende wie Amerigo Vespucci fertigten Zeichnungen der von ihnen erkundeten Gebiete an.

Steinplatte
Archäologe bei der Untersuchung der Steinplatte. © Bournemouth University

Rätselhafte Ritzmotive aus der Bronzezeit

Die möglicherweise älteste Karte Europas könnten nun Forscher um Clément Nicolas von der Bournemouth University entdeckt haben. Es handelt sich um eine 2,20 Meter lange und 1,50 Meter breite Steinplatte, die um 1900 bei Saint-Bélec in der Bretagne entdeckt worden war. Schon damals fiel auf, dass in die teils verwitterte, teils verkrustete Oberfläche mehrere Muster und Formen eingeritzt waren. „Die in die Oberfläche eingekerbten Motive sind relativ gleichförmig und zeigen einfache geometrische Muster, beispielsweise runde und ovale Senken, gerade und kurvige Linien, sowie ovale und gekrümmte Formen“, berichten die Forschenden.

Einige dieser Motive scheinen sich wiederholende Muster zu bilden. Aus begleitenden Funden schloss man damals, dass die Platte aus der frühen Bronzezeit von 2150 bis 1600 vor Christus stammen musste. Sie könnte damit aus der Zeit der Himmelsscheibe von Nebra stammen – falls diese nicht doch falsch datiert worden ist, wie einige Archäologen glauben.

Die Steinplatte mitsamt ihrer Verzierungen wurde nach ihrem Auffinden jedoch nur oberflächlich untersucht und landet zunächst in einer privaten Sammlung, dann im Keller des Schlosses von Saint-Bélec. Dort lag sie gut 100 Jahre vergessen, bis nun Nicolas und sein Team sie hervorholten und einer gründlicheren Analyse unterzogen.

Linien und Erhebungen bilden die Landschaft nach

Die Untersuchung enthüllte: Die bronzezeitliche Steinplatte trägt nicht nur geometrische Muster, sondern ist auch eine Karte. „Ein Schlüsselmerkmal dafür ist, dass die Erschaffer die ursprüngliche Oberfläche des Steins verändert haben, damit ihr Relief eine Form bekommt, die der Topografie der umgebenden Landschaft entspricht“, berichten Nicolas und sein Team. Die Hügel und Senken entsprechen der Landschaft im oberen Odet-Tal, wie sie von Saint-Bélec aus zu sehen ist.

Zusätzlich zeigt dieser Teil der Steinplatte eine Reihe von eingeritzten Linien, die das Netzwerk der Flüsse in diesem Gebiet nachbilden. Die schon zuvor bemerkten geometrischen Muster fügen sich teilweise so in diese Karte ein, dass sie Landmarken, Territorien oder Siedlungen markieren könnten. Ein zentrales Motiv könnte beispielsweise eine Art Befestigung oder auch ein Grabmal zwischen den drei Flüssen Odet, Isole und Ster Laër darstellen, wie die Archäologen erklären. „Die frühe Bronzezeit in der Bretagne ist für ihre Fürstengräber bekannt, die oft die Zentren etablierter Territorien markierten“, so Nicolas und sein Team.

Kennzeichnung des Territoriums

Damit könnte diese Steinplatte die älteste bekannte Kartendarstellung eines Territoriums in Europa sein. Die Archäologen vermuten, dass diese Karte im Auftrag eines Fürsten oder Königs hergestellt wurde, um seine Gebietsansprüche gegenüber Untertanen, Nachbarn und Rivalen geltend zu machen.

„Wir nehmen an, dass die Karte von Saint-Bélec als eine Art Kataster verwendet wurde, um das Territorium zu markieren und das Land zu kontrollieren“, sagt Nicolas. (Bulletin de la Société préhistorique française, 2021; p.99-146)

Quelle: Bournemouth University

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