Noch reicht die eisige Zunge des Ryder-Gletschers in Nordgrönland weit in den Fjord hinaus, wie diese Aufnahme von Bord eines Hubschraubers zeigt. Doch auch er zeigt schon Schmelzwasser-Flüsse auf seiner Oberfläche. Und nicht nur das: Forscher haben herausgefunden, dass dickeres Meereis am Eingang der grönländischen Fjorde die Eisschmelze sogar beschleunigen kann.
Die Arktis ist besonders stark vom Klimawandel betroffen – das gilt auch für die Gletscher Grönlands. Ihre Abtaurate hat sich in einigen Regionen schon vervierfacht. Schon jetzt fließt durch diese Gletscher mehr Schmelzwasser ins Meer als es die Klimamodelle vorhersagen. Vielerorts bilden sich durch das abtauende Eis regelrechte Wasserfälle, über die das Wasser aus Schmelzwassertümpeln und -flüssen in die Tiefe stürzt.
Besonders betroffen von der großen Schmelze sind die Küstengletscher Grönlands. Denn ihre eisigen Zungen reichen vom Festland bis weit in die Fjorde und Buchten hinein. Dadurch sind die Gletscherzungen dem meist deutlich wärmeren Meerwasser ausgesetzt und tauen gleichzeitig von oben und von unten ab.
Ein Fjordgletscher von oben
Auch an der Zunge des Ryder-Gletschers in Nordgrönland geht die sommerliche Eisschmelze nicht vorüber, wie diese vom Helikopter aus aufgenommene Bild zeigt. Deutlich sind die Risse und Schmelzwasserströme auf der Eisoberfläche zu erkennen. Doch als ein Forscherteam um Christian Stranne von der Universität Stockholm diesen und andere Küstengletscher im Norden Grönlands näher untersuchte, fiel ihnen noch etwas anderes auf:
Paradoxerweise tauen die Gletscherzungen in vielen Fjorden dann besonders schnell, wenn das Meer vor dem Fjordeingang noch von dickem Meereis bedeckt ist. Obwohl Meereis eigentlich ein guter Isolator ist und das darunter liegende Wasser vor der Erwärmung durch die Sonne und warme Luft schützt, scheint seine Gegenwart in den Fjorden eher kontraproduktiv zu sein, wie die Forscher beobachteten. Vor allem im Sommer 2019, der Grönland besonders warm ausfiel, schmolzen die Gletscherzungen in solchen Fjorden besonders stark.
Meereis als Barriere
Was aber steckt dahinter? Wie Stranne und sein Team herausfanden, liegt dies an der Barrierewirkung von dickem Meereis: Wenn sich diese meterdicken Eisschollen vor dem Eingang eines Fjords auftürmen, behindern sie den Wasseraustausch zwischen dem Fjord und dem offenen Ozean. Dadurch sammelt sich an der Oberfläche des Fjords von der Sonne aufgeheiztes, warmes Wasser.
Weil diese obere Wasserschicht zum großen Teil aus dem nicht salzigen Schmelzwasser der Gletscher besteht, kann sie sich nicht mit tieferen Schichten mischen. Das führt dazu, dass dieses Wasser die Meereisbarriere am Fjordeingang auch nicht unterströmen kann – es staut sich im Fjord. „Im Sherard-Osborn-Fjord, der im Sommer 2019 durch dickes Meereis vom offenen Ozean abgeriegelt war, erreichte die Temperaturen des Oberflächenwassers vier Grad plus – das ist drei Grad mehr als für diese Gegend in Nordgrönland üblich“, berichtet Stranne.
Für die Gletscherzungen in diesen abgeriegelten Fjorden bedeutet dies: Statt von der isolierenden Wirkung des Meereises zu profitieren, werden sie von besonders warmem Wasser umspült – und tauen entsprechend schneller ab. (Communications Earth & Environment, 2021; doi: 10.1038/s43247-021-00140-8)
Quelle: Stockholm University