Nach fast 20 Jahren Pause für den zivilen Überschallflug bahnt sich nun eine Renaissance an: Gleich mehrere Unternehmen und die NASA arbeiten an Flugzeugen, die künftig Passagiere schneller als der Schall befördern und trotzdem leise und umweltfreundlich sind. Die ersten Prototypen könnten noch in diesem Jahr abheben.
Auf die Form kommt es an
Die Konstrukteure der neuen Überschallflieger profitieren dabei von gleich mehreren technischen Fortschritten. So können sie ihre Maschinen anders als in den 1970er Jahren am Computer entwerfen und so das Design in Bezug auf Aerodynamik und Lärmentwicklung optimieren. „Die Intensität des Überschallknalls ist vor allem von der aerodynamischen Form des Flugzeugs abhängig“, erklärt Gérald Carrier vom französischen Luftfahrt-Forschungszentrum ONERA. Er untersucht im EU-Projekt RUMBLE, wie sich der Überschalllärm am besten reduzieren lässt.
Eine wichtige Komponenten dafür ist die Form der Flugzeugnase: Je länger und schmaler sie zuläuft, desto geringer ist der Lärm. Die NASA hat das Cockpit bei ihrem Prototypen X-59 deshalb so weit nach hinten in den Rumpf verlagert, dass die Piloten kaum noch freie Sicht haben. Stattdessen liefern ihnen Kameras und ein Augmented-Reality-System die optischen Informationen über die unter ihnen liegende Rollbahn und die Umgebung rund um die Flugzeugnase. Eine ähnliche Lösung nutzt das US-Unternehmen Boom Supersonic für seinen Prototyp XB-1, der im Herbst 2021 erstmals abheben soll.
Auch die Form der Tragflächen und Steuerklappen spielen für die Lärmentwicklung eine Rolle. „Man muss eine Form finden, die verhindert, dass die Schockwellen des Überschallflugs miteinander verschmelzen und so den lauten Doppelknall erzeugen“, erklärt Michael Buonanno, Chefingenieur für das NASA-X-Plane Programm bei Lockheed Martin. In ersten Entwürfen habe man bereits Designs entwickelt, die den Doppelknall zu einer Art Herzschlag abmildern.
Knallloser Flug durch „Mach Cut Off“
Der Flugzeughersteller Aerion Supersonic will die Lärmbelastung des Überschallflugs noch weiter minimieren, indem er ein atmosphärisches Phänomen ausnutzt. Bei diesem sogenannten „Mach Cut Off“ sorgt die Schichtung der Luft dafür, dass der Schallkegel des Flugzeugs durch Temperaturgrenzen innerhalb der Atmosphäre reflektiert und nach oben abgelenkt wird. Der Überschallknall erreicht dadurch nicht die Erdoberfläche.
Voraussetzung für einen solchen „knallfreien Flug“ ist allerdings, dass die Geschwindigkeit des Flugzeugs nur knapp über der Schallgrenze liegt und dass die atmosphärischen Bedingungen stimmen. Denn wie Modellrechnungen und Flugtests ergaben, funktioniert die Reflektion des Schallkegels nur dann, wenn die Luft auf Flughöhe deutlich kälter ist als über Grund und der Wind nicht zu stark ist. Dann kann ein Flugzeug beispielsweise mit Mach 1,09 fliegen, ohne dass am Boden ein Knall zu hören ist.
Allerdings: Die richtige, zu den Außenbedingungen passende Fluggeschwindigkeit zu ermitteln, erfordert einiges an Daten und Berechnungen – und der Spielraum für Abweichungen ist extrem gering, wie US-Forscher im FAA-Projekt ASCENT ermittelten. „Für bestimmte Windprofile und Flugrichtungen kann schon eine Veränderung der Geschwindigkeit um 0,01 Mach einen fokussierten Knall bis zum Grund schicken“, berichten sie.
Aerion will daher in seinen Überschallflugzeugen eine spezielle Software einsetzen, die Flughöhe und -tempo in Abhängigkeit von den meteorologischen Gegebenheiten optimiert. „Wir könnten das erste Flugzeug der Geschichte haben, das schneller als der Schall über Land fliegt – ohne das jemand am Boden einen Überschallknall hört“, sagt Aerion-CEO Tom Vice.