Astronomie

Rätsel um verdunkelten Riesen

Stern verliert monatelang 97 Prozent seiner Leuchtkraft - und niemand weiß warum

VVV-WIT-08
Der Riesenstern VVV-WIT-08 wurde ein halbes Jahr lang drastisch verdunkelt – aber wodurch? © Amanda Smith/ University of Cambridge

Mysteriöses Phänomen: Astronomen haben einen Stern entdeckt, dessen Verhalten allen gängigen Modellen widerspricht. Der Riesenstern VVV-WIT-08 leuchtete jahrelang stabil, dann verlor er abrupt 97 Prozent seiner Leuchtkraft und blieb gut ein halbes Jahr dunkel, bevor er wieder aufstrahlte. Dieses Verhalten lässt sich nicht mit der Verdeckung durch einen Begleitstern erklären – und auch alle anderen Theorien passen nicht, wie die Forscher erklären. Was dort vorgeht, bleibt vorerst unerklärlich.

Sterne, die ihre Helligkeit zyklisch verändern, sind im Kosmos nichts Ungewöhnliches. Oft handelt es sich um Doppelsterne, deren Partner sich abwechselnd verdecken. Es gibt aber auch interne Prozesse, die einen Stern regelmäßig blinken lassen. Bei solchen Cepheiden verändern sich Temperatur und Helligkeit, weil sie zwischen Phasen der intensiveren Kernfusion und des Aufblähens wechseln. Sogar Sterne, die nur halbseitig pulsieren, wurden schon beobachtet.

„What is this?“

Doch jetzt haben Astronomen um Leigh Smith von der University of Cambridge einen Stern entdeckt, der in keine der bisher bekannten Klassen von Veränderlichen passt. Aufgespürt wurde das rätselhafte Objekt im Rahmen einer Himmelsdurchmusterung mit dem VISTA-Teleskop der ESO in Chile, die schon seit fast einem Jahrzehnt rund eine Milliarde Sterne auf Helligkeitsveränderungen im Infrarotbereich überwacht.

VVV-WIT-08
Erst hell, dann fast weg, dann wieder hell: Aufnahmen des Sterns VVV-WIT-08.© VISTA Variables in the Via Lactea survey team/ ESO

„Dabei stoßen wir manchmal auf veränderliche Sterne, die in keine etablierte Kategorie passen. Wir nennen sie dann WIT für ‚What is this'“, erklärt Koautor Philip Lucas von der University of Hertfordshire. Einer dieser WIT-Sterne ist nun der rund 25.000 Lichtjahre von uns entfernte Riesenstern VVV-WIT-08. Er hat zwar die Masse der Sonne, ist aber rund 100-mal größer als sie. „Sein Spektrum spricht dafür, dass es sich um einen eher kühlen Riesen mit einer Effektivtemperatur von rund 3.600 Kelvin handelt“, so das Team.

200 Tage lang verdunkelt

Das Merkwürdige jedoch: Nachdem dieser Riesenstern lange Jahre keinerlei Veränderungen zeigte, verdunkelte er sich im Frühjahr 2012 plötzlich und verlor dabei 97 Prozent seiner Leuchtkraft. „Dieses einzelne, glatte und nahezu symmetrische Verdunklungs-Ereignis hielt rund 200 Tage an“, berichten die Astronomen. Anschließend nahm der Stern wieder an Helligkeit zu und strahlt seither ohne weitere Schwankungen mit seiner ursprünglichen Leuchtkraft.

Eine solche Dauer und Intensität des Abdimmens ist extrem ungewöhnlich und selten. Weil die Teleskopbeobachtungen nur 17 Jahre zurückreichen, ist zudem nicht einmal klar, ob es sich um ein einmaliges oder regelmäßiges Ereignis handelt. Bislang kennen Astronomen nur zwei Sterne, die extrem lange Wiederkehrperioden von Verdunklungen zeigen. Zu diesen gehören der Stern Epsilon Aurigae, der alle 27 Jahre von der Staubscheibe seines Begleiters verdeckt wird, und der Rote Riese TYC 2505-672-1, bei dem sogar 69 Jahre zwischen den Ereignissen liegen.

Keine interne Ursache feststellbar

Doch VVV-WIT-08 ist anders: Keiner der schon bekannten Veränderlichen zeigt einen so drastischen Helligkeitsverlust, der noch dazu alle Wellenbereiche des sichtbaren und Infrarotlichts gleichermaßen betrifft. Entsprechende Daten dazu lieferten dem Team Aufnahmen des OGLE-Teleskops der Universität Warschau, das die Verdunklung dieses Sterns ebenfalls beobachtet hatte. Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, haben Smith und sein Team systematisch alle denkbaren Ursachen überprüft – ohne eine eindeutige Erklärung zu finden.

Klar scheint, dass die Ursache wahrscheinlich nicht im Inneren des Sterns liegt: „Das Verhalten der Lichtkurve von VVV-WIT-08 korrespondiert mit keiner bekannten stellaren Variabilität „, schreiben die Astronomen. Die Symmetrie der Lichtkurve passt nicht zu den Schwankungen eines Roten Riesen und für einen Jungstern leuchtet das Objekt außerhalb dieses einen Ereignisses zu gleichmäßig und stabil.

Dichte Scheibe vor dem Stern

Die Verdunklung muss daher von außen kommen – durch ein dunkles, großes Objekt, das den Stern verdeckt hat. Aber was für eins? „Das okkultierende Objekt muss einige Kernmerkmale aufweisen: Es muss durch die Schwerkraft an den Riesenstern gebunden sein, sehr leuchtschwach sein, einen Radius größer 50 Erdradien haben und elliptisch erscheinen“, erklären Smith und seine Kollegen. Sie haben mithilfe eines Modells alle denkbaren Kandidaten überprüft.

Der wahrscheinlichste Okkultator wäre ein Begleitstern, der von einer dichten Staubscheibe umgeben ist. Allerdings passen die typischen Merkmale solcher zirkumstellaren Scheiben nicht zu den Beobachtungen: Die Scheiben um Jungsterne sind zu kurzlebig und hinterlassen zudem eine klar erkennbare Infrarotsignatur, wie das Team erklärt. Eine Trümmerscheibe um einen älteren Stern wäre nicht dicht und undurchsichtig genug, diejenige um einen Weißen Zwerg dagegen nicht groß genug, um die lange und fast vollständige Verdunklung zu erklären.

Zu weit weg und zu dunkel

Eine weitere Möglichkeit wäre ein Begleitstern, der dem Riesenstern Material absaugt und dadurch eine ausgedehnte Gasscheibe bildet. „Der Massentransfer vom Riesenstern in den Schwerkraftbereich eines Begleiters könnte die Präsenz einer verdeckenden Scheibe erklären“, so Smith und sein Team. „Dieses Szenario ist verlockend, weil es gleichzeitig eine bequeme Erklärung dafür bietet, warum der Stern kleiner ist als erwartet.“

Das Problem jedoch: Angesichts der langen Dauer der Okkultation muss der Begleiter sehr weit vom Riesenstern entfernt sein – und damit zu weit weg, um dem Stern Material abzusaugen. Denkbar wäre allerdings, dass es sich bei dem Begleiter um ein Objekt mit besonders großer Schwerkraft handelt, wie einen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. Deren Akkretionsscheiben emittieren zwar normalerweise Röntgenstrahlung, es gibt aber auch Ausnahmen, wie die Forschenden erklären.

„Geheimnis ist noch nicht gelüftet“

Das Fazit der Astronomen: Keines der Szenarien kann vollständig erklären, durch was der Riesenstern VVV-WIT-08 so lange und vollständig verdeckt wurde. „Die Dauer, Tiefe und Achromatizität der Verdunklung macht dieses Ereignis außergewöhnlich ungewöhnlich – sein Geheimnis ist noch nicht gelüftet“, so Smith und seine Kollegen. Sie hoffen aber, künftig noch weitere Fälle solcher Ereignisse zu entdecken. Zwei Kandidaten könnten sie im Rahmen der VISTA-Durchmusterung bereits aufgespürt haben. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2021; doi: 10.1093/mnras/stab1211)

Quelle: University of Cambridge

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