„Dunkler“ Bremseffekt: Der zentrale Balken der Milchstraße bewegt sich heute um 24 Prozent langsamer als bei seiner Entstehung, wie Astronomen herausgefunden haben. Das liefert neue Belege dafür, dass die Außenbereiche der Milchstraße viel Dunkle Materie enthalten. Denn deren Masse wirkt gängiger Theorie nach wie eine Bremse auf die Balkenrotation. Gleichzeitig erlaubt dies Rückschlüsse auf die Natur der Dunklen Materie und die Gültigkeit alternativer Theorien.
Unsere Milchstraße zählt zu den Balkenspiralen: Durch ihr Zentrum verläuft eine gerade Struktur erhöhter Sternendichte, an der die Spiralarme ansetzen. Dieser Balken bildet einen wichtigen Transportweg für Material und fördert die Sternbildung. Ähnlich wie die Dichtewellen der Spiralarme rotiert auch er im Laufe der Zeit langsam um das galaktische Zentrum. Resonanzeffekte lassen sein Tempo dabei periodisch schwanken.
Bremseffekt des Halo?
Doch wie hat sich die Bewegung des Balkens seit seiner Entstehung verändert? Theorien sagen voraus, dass er einem subtilen Bremseffekt unterliegt und daher immer langsamer werden müsste. Verursacht wird diese Abbremsung den Annahmen nach von der Dunklen Materie, die sich im Halo der Milchstraße konzentriert – der eher sternenarmen Hülle aus Gase und Plasma, die die scheibenförmige Hauptebene unserer Galaxie umgibt.
Ob sich dieser Bremseffekt nachweisen lässt, haben nun Rimpei Chiba von der University of Oxford und Ralph Schönrich vom University College London untersucht. Dafür werteten sie die mit dem Gaia-Satelliten ermittelten Bewegungsdaten von Sternen aus, die im Umfeld des Balkens liegen. Durch Resonanzeffekte wurden diese Sterne im Laufe der Galaxiengeschichte nach und nach aus dem Milchstraßenzentrum in das Umfeld des Balkens gezogen. Dort bewegen sie sich mit ihm mit.
Sterne als „Jahresringe“ des Balkens
Der Clou dabei: Die Orbits der in Resonanz zum Balken stehenden Sterne und ihr Abstand vom Milchstraßenzentrum hängen vom Zeitpunkt ihres „Einfangens“ und von der Rotationsgeschwindigkeit des Balkens ab. Je früher die Sterne in dessen Einflussbereich gerieten, desto älter sind sie. Und je länger sie mit dem Balken mitrotiert sind, desto weiter wurden sie seither nach außen getrieben.
„Die Balkenresonanz entwickelt sich daher ähnlich wie die Jahresringe von Bäumen, bei denen sich ständig neue Zellschichten unter der Rinde bilden“, erklären die Astronomen. Und ähnlich wie bei den Baumringen kann man auch an den Sternen die frühere Entwicklung des Balkens ablesen. Wäre seine Geschwindigkeit immer gleichgeblieben, müsste sich das Alter der Sterne in seinem Umfeld gleichmäßig von innen nach außen verändern.
24 Prozent verlangsamt
Doch wie die Messungen enthüllten, ist dies nicht der Fall: Die Astronomen identifizierten einen ganzen Klumpen von Sternen, die für ihre weit außen liegende Position eigentlich zu alt waren. Dieser Herkules-Sternenstrom muss demnach zu einer Zeit vom Balken eingefangen worden sein, als dieser schneller rotierte als heute. Als sich dann sein Tempo verlangsamte, löst dies eine verstärkte Drift des Sternenstroms nach außen aus, wie Chiba und Schönrich erklären.
Aus ihren Daten schließen die Forscher, dass sich der Balken seit seine Entstehung um rund 24 Prozent verlangsamt haben muss. Dies bestätigt die theoretischen Vorhersagen: „Astrophysiker vermuten schon lange, dass der Balken im Zentrum der Milchstraße langsamer wird“, sagt Schönrich. „Aber wir haben den ersten Nachweis erbracht, dass dies auch tatsächlich passiert.“
Besserer Blick auf die Dunkle Materie
Die jetzt belegte Abbremsung des Balkens stützt auch die dahinterstehende Theorie: „Das Gegengewicht, das die Rotation des Balkens verlangsamt, muss die Dunkle Materie sein“, erklärt Schönrich. Ihre im Außenbereich der Milchstraße konzentrierte Masse wirkt demnach als Bremse – ihr Effekt ist ähnlich, als wenn der Balken mit seinen Spitzen durch zähflüssigen Honig ziehen müsste.
„Unsere Ergebnisse ermöglichen damit auch eine neue Art, die Dunkle Materie zu messen – nicht durch ihre gravitative Energie, sondern über ihre Trägheitswirkung, die die Balkenrotation verlangsamt“, erklärt Chiba. „Damit eröffnen sich ganz neue Chancen, die Natur der Dunklen Materie einzugrenzen. Denn je nach zugrundeliegendem Modell verändert sich auch der Trägheitseffekt auf den galaktischen Balken.“
Limit für alternative Kosmos-Modelle
Gleichzeitig schränken die neuen Messungen auch die Theorien ein, die die Existenz Dunkler Materie völlig ausschließen. Dazu gehören unter anderem alternative Versionen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die von einer sich verändernden Gravitation ausgehen. „Unsere Resultate stelle diese alternativen Theorien vor ein großes Problem, denn ihnen zufolge dürfte sich der Balken gar nicht oder nur deutlich weniger verlangsamen“, sagt Chiba. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 20231; doi: 10.1093/mnras/stab1094)
Quelle: University College London