Physik

Erstes Makro-Objekt in Quantenruhe

Physiker kühlen erstmals ein alltagsgroßes Objekt bis fast auf den Grundzustand

LIGO-Spiegel
Dieser Messspiegel des LIGO-Gravitationswellen-Detektors lässt sich so ruhigstellen, dass der aus zwei solcher Spiegel gebildete Oszillator bis auf die Grundzustands-Energie gebracht wurde. © Danny Sellers, Caltech/MIT/ LIGO Lab

Ruhe bis auf Quantenebene: Physiker haben erstmals ein normalgroßes Objekt bis fast zum Grundzustand heruntergekühlt – den Zustand, in dem selbst Atome kaum noch vibrieren. Möglich wurde dies durch die ultrapräzisen Laser am LIGO-Gravitationswellendetektor. Mit ihnen konnten die Forscher das „Quantenrauschen“ der schweren Detektorspiegel messen und dann solange gegensteuern, bis die Schwingungen fast völlig stoppten, wie sie im „Fachmagazin „Science“ berichten.

Für unsere Augen erscheinen die Alltagsobjekte um uns herum fest und unbeweglich. Doch das täuscht: Auf Atomebene besteht alles Makroskopische aus einem Gewimmel ständig vibrierender Teilchen. Sowohl die von der Umgebungswärme angetriebenen thermischen Oszillationen als auch Quantenfluktuationen halten sie in Bewegung. Zur Ruhe bringen lassen sich die Atome nur, wenn man sie bis auf ihren Grundzustand herunterkühlt – beispielsweise mithilfe der Laserkühlung.

Auf 77 Nanokelvin heruntergebremst

Was bisher nur mit Atomwolken oder Mikroobjekten möglich war, ist nun Physikern um Chris Whittle vom LIGO-Gravitationswellen-Observatorium erstmals auch bei einem Objekt von Alltagsgröße gelungen: Sie haben ein rund zehn Kilogramm schweres Objekt so weit ruhiggestellt, dass die verbleibende Energie seiner Atome einer Temperatur von nur noch 77 Nanokelvin entspricht – 77 Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt.

Dies ist damit das mit Abstand größte Objekt, das je so nah an seinen Grundzustand gebracht wurde, wie die Forschenden berichten. „Wir haben damit demonstriert, wie man ein Objekt im Kilogramm-Maßstab in Quantenzustände bringt“, sagt Whittles Kollege Vivishek Sudhir. „Dies ebnet uns den Weg zu experimentellen Studien darüber, wie die Gravitation große Quantenobjekte beeinflusst – etwas, wovon wir bislang nur träumen konnten.“

LIGOs Spiegel als Werkzeuge

Möglich wurde dieser Durchbruch durch die hochpräzise Messtechnik der LIGO-Gravitationswellen-Detektoren. Sie bestehen jeweils aus einem Laser-Interferometer, bei dem ein Laser-Messstrahl zwei im rechten Winkel zueinanderstehende, vier Kilometer lange Tunnel durchstrahlt. An deren Ende trifft er auf einen 40 Kilogramm schweren, an dünnen Fasern aufgehängten Spiegel. Schon winzige Schwingungen dieses Spiegels – beispielsweise durch eine Gravitationswelle – verändern die Phase des von ihm reflektierten Laserstrahls.

LIGO-Interferometer
Vereinfachter Aufbau des LIGO-Detektors. © Menner, verändert nach LIGO

Kombiniert mit dem zweiten Laserstrahl ergibt dies ein Interferenzmuster, das die Bewegungen verrät. Über diese Anlage können die LIGO-Physiker noch Spiegelbewegungen von einem Zehntausendstel des Protonen-Durchmessers detektieren. Gleichzeitig ermöglichen es die Laserdaten aber auch, die Eigenschwingungen des Messpiegels zu messen. Dadurch gelang es den Forschern kürzlich erstmals, das Quantenrauschen eines so großen makroskopischen Objekts zu messen und vom „klassischen“ Rauschen der thermischen Vibrationen zu unterscheiden.

Bewegungen abgebremst

Genau an diesem Punkt setzt das aktuelle Experiment an: Weil das LIGO-Team das Schwingungsverhalten der Messspiegel so genau bestimmen kann, lässt sich auch gezielt gegensteuern. Dafür nutzten die Physiker das elektrostatische System, das die Spiegel im normalen Messbetrieb über elektrische Felder berührungslos stabilisiert. Mit diesem System bremsten sie nun das von den Atombewegungen verursachte Vibrieren durch Gegenstöße ab.

Tatsächlich gelang es dem Team, die Spiegel so ruhigzustellen, dass sie sich nicht mehr als 10-20 Meter bewegten – zehn  Trilliardstel Meter und damit weniger als der Durchmesser eines Protons. Der Clou dabei: Die Spiegel in den beiden Detektortunneln von LIGO bilden jeweils einen mechanischen Oszillator, dessen effektive Masse bei zehn Kilogramm liegt und der aus rund 1026 Atomen besteht, wie Whittle und seine Kollegen erklären.

LIGO-Spiegel
Die LIGO-Spiegel sind frei aufgehängt und werden von elektrischen Felder stabilisiert. © Caltech/MIT/LIGO Lab

Nahe am theoretischen Grundzustand

Diesem aus der Bewegung der Spiegel gebildete Oszillator wurde im Experiment so viel Energie entzogen, dass es einer Abkühlung auf 77 Nanokelvin entsprach. Die kollektive Bewegung der Atome in einem solchen Objekt kommt bei diesen Temperaturen fast zum Stillstand. Das Forscherteam ist damit dem theoretischen Grundzustand des Objekts, der bei rund zehn Nanokelvin liegt, extrem nahe gekommen.

„Dies ist vergleichbar mit der Temperatur, auf die Kernphysiker ihre Atomwolken herunterkühlen, um sie in den Grundzustand zu bringen“, sagt Sudhier. „Aber sie machen das mit einer Wolke von vielleicht einer Million Atomen und wenigen Picogramm Gewicht.“ Hier sei es dagegen gelungen, ein makroskopisches Objekt von Alltagsgröße in diesen Zustand zu bringen.

Wichtig für Quantenforschung und Messtechnik

Nach Ansicht von Whittle und seinem Team ist dies ein wichtiger Durchbruch für Messtechnik und Quantenphysik gleichermaßen: „Indem wir massereiche Objekte immer näher an den Grundzustand bringen, öffnen wir die Tür zu Anwendungen, in denen makroskopischen Quantenphänomene und Quantenmessungen möglich werden“, so die Forscher. Das mache es möglich, exotische Zustände und Verhaltensweisen erstmals auch in Größenordnungen zu erforschen, die bisher unmöglich schienen.

Aber auch die Detektion von Gravitationswellen könnte durch Messapparaturen in einem solchen Zustand verbessert werden: „Die faszinierendste Möglichkeit besteht darin, die Massen im Kilogramm-Maßstab fast in den Quantenzustand zu bringen und dann den Einfluss von Gravitationskräften auf sie zu untersuchen“, erklären die Physiker. (Science, 2021; doi: 10.1126/science.abh2634)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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