Verkehrte Welt: Es gibt überraschend viele Spinnen, die Schlangen fressen, wie nun eine Studie enthüllt. Die achtbeinigen Jäger töten dabei Schlangen, die zehn- bis 30-mal größer sind als sie selbst und schrecken selbst vor Giftschlangen nicht zurück. Ihre Waffe der Wahl ist dabei fast immer ein Nervengift, das ihre im Vergleich riesige Beute lähmt. Sogar in Mitteleuropa kommen Fälle der Schlangenjagd durch Spinnen vor – wenn auch nur sehr selten.
Eigentlich stehen Spinnen in der Nahrungskette eher unter den Wirbeltieren: Viele Schlangen, Frösche oder Nager ernähren sich von Insekten und Spinnentieren – schon der Größe wegen erscheint dies opportun. Aber es gibt auch Ausnahmen: Vor einigen Jahren haben Biologen Gottesanbeterinnen dabei überrascht, wie sie Fische fingen. Auch als Vogelfängerinnen wurden diese Insekten schon entlarvt. Von Spinnen im Amazonasgebiet sind zudem einige Fälle bekannt, in denen diese Jagd auf Frösche, Eidechsen und sogar ein Opossum machten.
Aber sind dies nur einige kuriose Einzelfälle oder steckt mehr dahinter? Um das herauszufinden, haben Martin Nyffeler von der Universität Basel und seine Kollegen Berichte über solche Vorkommnisse aus aller Welt zusammengetragen und ausgewertet.
Schlangenfresser gibt es fast überall
Das Ergebnis: Bisher sind 319 Fälle bekannt, in denen eine Spinne eine Schlange angegriffen und an ihr gefressen hatte – 297 davon wurden in freier Wildbahn beobachtet. Die meisten dieser Vorkommnisse mit schlangenfressenden Spinnen wurden aus den USA gemeldet, gefolgt von Australien. Aber sogar in Mitteleuropa scheint es – wenn auch selten – zu solchen Angriffen zu kommen. In den beiden in der Studie beschriebenen Fällen handelte es sich um größere Webspinnen, die kleine Jungtiere aus der Familie der ungiftigen Blindschlangen (Typhlopidae) gefressen hatten.
Dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, belegt auch die breite Verteilung auf die verschiedenen Spinnengruppen: Von insgesamt 41 verschiedenen Spezies aus elf Familien ist das Schlangenfressen bekannt. „Dass so viele verschiedene Spinnengruppen gelegentlich Schlangen fressen, ist eine völlig neue Erkenntnis“, betont Nyffeler. Mit Abstand am häufigsten kommt dies offenbar bei Witwenspinnen (Latrodectus spp.) wie der Schwarzen Witwe vor.
Aber auch Arten aus der Familie der Vogelspinnen und der echten Webspinnen wurden schon auf frischer Tat ertappt. Eine in Basilien entdeckte Vogelspinnenart scheint sogar ausschließlich kleine Wirbeltiere wie Frösche und Schlangen zu verspeisen – als ihr im Labor Insekten angeboten wurde, verschmähte sie diese.
Enormer Größenunterschied
Die Größe ihrer Beute ist für die Spinnen offenbar kein Hindernis: Die von den achtbeinigen Jägern getöteten Schlangen waren zwischen sechs Zentimetern und einem Meter lang, wie Nyffeler und sein Team berichten. Im Verhältnis zur Körpergröße der Spinne ist ihre Beute damit zehn- bis 30-facher größer. Das erklärt auch, warum die Spinnen oft stunden- bis tagelang an einer Schlange fressen. Oft bleibt zudem einiges von ihrer Beute übrig, das dann später von Aasfressern wie Ameisen, Wespen, Fliegen und Schimmelpilzen konsumiert wird.
Selbst Giftschlangen werden von den Spinnen angegriffen, sie machen immerhin rund ein Drittel der schlängelnden Beute aus. Unter den Opfern sind in den USA vor allem Klapperschlangen und Korallenschlangen und in Australien auch Scheinkobras. „Diese Scheinkobras gehören zu den giftigsten Schlangen der Welt, und es ist sehr faszinierend zu beobachten, dass sie im Kampf mit Spinnen unterliegen“, sagt Nyffeler. Tatsächlich gelang es Spinne in 87 Prozent der Fälle, ihr Opfer zu töten, elf Prozent wurden von Menschen gerettet und nur 1,5 Prozent der Schlangen entkam aus eigener Kraft.
Schwarze Witwen: Erst Klebfalle, dann Gift
Doch wie schaffen es die Spinnen, eine so viel größere und stärkere Beute zu überwältigen? „Die verschiedenen Gruppen der schlangenfressenden Spinnen nutzen unterschiedliche Methoden um ihre Beute zu fangen und zu töten“, erklärt das Forscherteam. Bei den Schwarzen Witwen kommt eine Kombination aus Falle und Gift zum Einsatz: Diese Spinnen bauen unregelmäßige, sehr stabile Netze von denen klebrige Fäden bis auf die Bodenoberflächen hinunterreichen.
„Wenn dann eine kleine Schlange in ein solche Netz gerät, klebt sie an diesen Fäden fest“, erklärten die Forscher. „Die Spinne nähert sich dann der Schlange, wirft Massen klebriger Seidenfäden über sie und beißt sie dann ein oder mehrere Male.“ Vom Gift der Schwarzen Witwen ist bekannt, dass es sich um Neurotoxine handelt, die spezifisch auf das Nervensystem von Wirbeltieren wirken. Ist die Schlange tot, hiebt die Spinne ihr Opfer langsam vom Boden in ihr Netz – teilweise bis zu 1,20 Meter hoch. Für diese mühsamen Prozess braucht sie meist Stunden.
Bei den echten Webspinnen sind es oft kleine Baumschlangen, die ihnen ins kunstvoll gesponnene Netz gehen. „Sobald die Schlange sich im Netz verheddert hat, wickelt die Spinne es fest in Seidenfäden ein und injiziert durch einen Biss Gift und Verdauungssekrete in ihr Opfer“, berichten Nyffeler und seine Kollegen.
Vogelspinnen: Direkter Angriff auf den Kopf
Die Jagdstrategie der Vogelspinnen ist dagegen deutlich direkter: Die Spinnen springen ihr Opfer an und versuchen es am Kopf zu packen. „Die Spinne klammert sich am Kopf der Schlange fest, trotz all ihrer Versuche, sie abzuschütteln“, heißt es in einem Bericht. Mit ihren starken Beißklauen beißt sie dann zu und injiziert ihr Gift. „Schon eine oder zwei Minuten später zeigt das Spinnengift seine Wirkung und die Schlange wird ruhig“, die Schilderung weiter. Die Vogelspinne frisst sich dann vom Kopf nach hinten vor und verzehrt dabei vor allem die Weichteile ihrer Beute.
Bei den meisten Spinnen ist noch unbekannt, welche Gifte bei solchen Angriffen zum Einsatz kommen. „Während die Wirkungsweise des Gifts von Schwarzen Witwen auf das Nervensystem von Schlangen bereits gut erforscht ist, fehlt solches Wissen noch weitgehend für andere Spinnengruppen“, sagt Nyffeler. Welche Toxine es den Spinnen ermöglichen, ihre im Verhältnis riesenhafte Beute zu überwältigen, muss daher im Einzelnen noch erforscht werden. (Journal of Arachnology, 2021; doi: 10.1636/JoA-S-20-050)
Quelle: Universität Basel