In den meisten Online-Rollenspielen kreieren wir unsere Avatare losgelöst von unserem tatsächlichen Aussehen. Das verleiht uns die Möglichkeit, in fremde Rollen und Identitäten zu schlüpfen. Doch es gibt VR-Anwendungen, in denen es vorteilhaft wäre, wenn unser Avatar ein realistisches Abbild unserer Selbst wäre – beispielsweise bei virtuellen Treffen oder dem virtuellen Anprobieren von Kleidung.
Realistisch statt generisch
An der nötigen Technologie, um möglichst schnell und einfach virtuelle Versionen unserer Selbst zu erzeugen, arbeiten gleich mehrere EU-Projekte. Eines davon ist das Projekt Didimo, an dem unter anderem das gleichnamige portugiesische Unternehmen mitwirkt. Didimo hat ein neues System konzipiert, um solche digitalen Doppelgänger in nur 90 Sekunden anhand eines einfachen Fotos zu erstellen.
„Beim virtuellen Einkaufen von Kleidung stellt sich die Kundschaft normalerweise zwei Fragen: Sieht dieser Artikel gut an mir aus und passt er mir? Anwendungen zum virtuellen Anprobieren wären dafür eine Lösung, allerdings scheiterten sie bisher meist, da sie Kompromisse eingehen mussten“, erklärt Jim Franzen von Didimo. Kunden können bisher meist nur zwischen einigen vorgegebenen Körperformen auswählen, die aber nicht die individuelle Größe und Gestalt wiedergeben. Auch wichtige persönliche Merkmale und Eigenheiten spiegelt der Avatar nicht wider.
Bei Avataren für virtuelle Treffen ist der Stand der Dinge kaum besser. Nicht nur ähneln diese oft als Trickfiguren dargestellten Avatare der echten Person in keinster Weise, sondern diese Systeme bieten auch keine detailgetreuen Darstellungen des Mienenspiels und der Emotionen des Nutzenden – obwohl diese Aspekte für produktive menschliche Interaktionen unerlässlich sind. Franzen erklärt: „Wenn ich vermitteln will, dass ich fröhlich bin, bleibt mir bisher oft nichts anderes übrig, als meine Figur auf und ab springen zu lassen. Oder einen Tanz aufführen zu lassen“, erklärt Franzen. „In echten Geschäftstreffen würde ich mich aber niemals so verhalten.“
Vom Foto zum Avatar in 90 Sekunden
Ziel des Teams von Didimo war es daher, realistischere und emotional detailgetreuere digitale Darstellungen zu erschaffen. Dafür haben sie eine cloudbasierte Plattform sowie Unterstützungsinstrumente entwickelt, mit denen lebensähnliche digitale Menschen erstellt werden können. Mithilfe dieser Plattform können alle in nur 90 Sekunden eine vollständige 3D-Darstellung ihrer Person – ein Didimo – anhand eines Fotos erstellen.
„Jetzt bekommen Nutzende einen Avatar, der ihnen zum Verwechseln ähnlich sieht“, erklärt Veronica Orvalho von Didimo. „Wir sind bereits sehr gut im Erstellen von Gesichtern und Köpfen und arbeiten noch an der Darstellung von Körpern. Unser Ziel ist, detailgetreue digitale Menschen zu gestalten, die ihrem Vorbild eins zu eins entsprechen.“ Das Unternehmen arbeitet bereits eng mit Online-Plattformen wie Amazon, Sony, Altice, Ceek, Soliel, Atom Republic und anderen zusammen, um die Konzepte an deren jeweilige Anforderungen anzupassen. „Wir konzentrieren uns besonders auf die Branchen für Gaming, Modeeinzelhandel, Kommunikation und erweiterte Realität“, sagt Franzen.
Avatar-Aktion im Team
Einen ähnlichen Weg geht das EU-finanzierte Projekt VRTogether. Auch in diesem wollen Forschende erreichen, dass Nutzer in VR-Erfahrungen genauso aussehen können wie in der echten Welt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf sozialen Zusammenhängen wie virtuellen Treffen oder der virtuellen Zusammenarbeit im Team. „Wir haben uns bei unserer Arbeit darauf konzentriert, die nötigen Instrumente zu erschaffen, um mehrere Anwender gleichzeitig in Echtzeit als volumetrische Videoinhalte zu erfassen und sie in virtuelle Umgebungen zu verfrachten“, erklärt Sergi Fernandez von i2CAT und Koordinator von VRTogether.
Dafür hat das Team neue Techniken der 3D-Erfassung und virtuellen Rekonstruktion von Menschen als Punktewolke entwickelt, aber auch Lösungen, um eine geringe Latenz sicherzustellen, Bandbreite einzusparen, Inhalte in Echtzeit zu übertragen sowie Protokolle, die Interaktionen mit Objekten und anderen Personen synchron und realistisch gestalten.
Das Projektteam hat auf Basis dieser Entwicklungen drei inhaltsorientierte Pilotprojekte entwickelt, um die Möglichkeiten der Technologie vorzustellen. In diesen Pilotvorführungen können die Nutzenden an einer Mordermittlung teilnehmen. „Es handelt sich um eine dreiteilige Geschichte mit einem Kapitel pro Pilotvorführung“, erklärt Fernandez. „Die Teilnehmenden müssen herausfinden, wer das Verbrechen verübt hat, und in Sechsergruppen zusammenarbeiten, um auf dem Polizeirevier Verdächtige zu vernehmen, an einer Fernsehshow teilzunehmen und einen Tatort zu untersuchen.“