Auch wenn ITER mehr Energie aus der Kernfusion gewinnen wird als je auf der Erde möglich war, ist er noch kein Fusionskraftwerk. Die Hitze, die die Verschmelzung von Deuterium- und Tritiumkernen in seinem Plasma erzeugt, wird noch nicht zur Stromerzeugung genutzt. Der Fusionsreaktor bildet aber die Brücke zu seinen Nachfolgern, die dies eines Tages leisten sollen.
Nach ITER kommen die DEMOs
Konkret sieht der Zeitplan des European Fusion Development Agreement (EFDA) vor, bis zu den frühen 2040er Jahren die ersten Demonstrations-Fusionskraftwerke (DEMO) zu bauen. Diese sollen einen Netto-Stromertrag von mehreren hundert Megawatt erzeugen und einen Q-Faktor von 30 bis 50 erreichen – sie geben 30- bis 50-mal mehr Wärmeenergie ab als in ihr Plasma hineingesteckt wird. Anders als ITER sollen die DEMO-Reaktoren zudem ihr Tritium durch Breeder-Blankets ganz oder zumindest zum großen Teil selbst herstellen.
Zwar werden die DEMO-Reaktoren wahrscheinlich eine noch etwas größere Plasmakammer besitzen, gleichzeitig könnten die Kosten für diese Anlagen aber unter denen von ITER liegen, weil weniger Mess- und Diagnosetechnik eingebaut werden wird. Mehrere Länder, darunter Japan, Korea, Indien, Russland und China, haben bereits angekündigt, in den 2030ern mit der Konstruktion solcher DEMO-Reaktoren zu beginnen. China will zudem noch in den 2020ern einen eigenen Testreaktor bauen, um ähnlich wie bei ITER physikalische Details und Technologien zu erforschen.
Frühstens ab 2050, so die Schätzung der meisten Experten, könnte die Fusionstechnik so weit entwickelt sein, dass sie zur kommerziellen Stromerzeugung eingesetzt werden kann. „Meine Hoffnung ist, dass die Kernfusion um 2050 bis 2055 damit beginnt, ihren Anteil an der Energieversorgung der Menschheit zu leisten“, sagt ITER-Generaldirektor Bernard Bigot.
Die private Konkurrenz ist im Kommen
Doch auch jenseits von ITER und den großen staatlich geförderten Testanlagen ist inzwischen Bewegung in die Fusionsforschung gekommen. Gleich eine gute Handvoll von Startups will eigene Fusionsreaktoren bauen, einige davon sollen noch vor Ende dieses Jahrzehnts in Betrieb gehen. Diese Unternehmen, darunter Tokamak Energy und Commonwealth Fusion Systems, setzen größtenteils auf aktuelle Fortschritte in der Supraleiter-Technologie und wollen kleinere, leistungsstärkere Magnete auf Basis von Hochtemperatur-Supraleitern für den Plasmaeinschluss einsetzen.
ITER muss seine Niobzinn- und Niobtitan-Magnete mithilfe von flüssigem Helium bis auf minus 273 Grad herunterkühlen, um die Spulen supraleitend zu machen. Zudem ist eine große Zahl an Windungen nötig, um die erforderlichen Magnetintensitäten zu erreichen – in den zentralen Solenoiden und toroidalen Ringmagneten sind insgesamt gut 10.000 Kilometer Leitungen verbaut.
Die von den Fusions-Startups verwendeten Hochtemperatur-Supraleiter müssen hingegen „nur“ auf minus 200 bis 250 Grad gekühlt werden. Sie bestehen aus ReBCO (Rare-earth barium copper oxide) – einem Oxid aus einem Seltenerd-Metall, Barium und Kupfer. Diese Verbindung kann bei weniger extremen Temperaturen deutlich höhere Magnetintensitäten erzeugen und bedeutet damit für Fusionsanlagen eine beträchtliche Einsparung an Kühltechnik und Platz.
Commonwealth Fusion Systems: Breakeven noch vor 2030
Schon in wenigen Jahren will Commonwealth Fusion Systems (CFS) seinen gemeinsam mit Plasmaphysikern vom Massachusetts Institute of Technology entwickelten Fusionsreaktor „SPARC“ in Betrieb nehmen. Die zurzeit in Devens Massachusetts gebaute Anlage ist wie ITER ein doughnutförmiger Tokamak, aber zehnmal kleiner. Dennoch soll SPARC noch vor Ende des Jahrzehnts einen Q-Faktor von mehr als zwei erreichen und damit noch vor ITER den Breakeven-Punkt überwinden.
„Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um ein Fusionskraftwerk zu bauen – etwas auf das die Welt schon seit Jahrzehnten wartet“, sagt Bob Mumgaard, CEO von CFS. „Die Kombination aus etablierter Plasmaphysik, innovativen Magneten und verringerter Größe eröffnen neue Möglichkeiten für die kommerzielle Fusionsenergie – und das rechtzeitig, um beim Klimawandel einen Effekt zu erzielen.“ Im Sommer 2021 ist der erste Test der SPARC-Magneten geplant, bis zum Ende des Jahres soll eine erste Demonstration von SPARC erfolgen.
Plasmakugel statt Doughnut
Eine andere Variante der Tokamak-Technologie nutzt dagegen die britische Forma Tokamak Energy. Die Plasmakammer ihres aktuellen Fusionsreaktors ST-40 ist nicht ringförmig, sondern rund. Dadurch kann bei gleicher Magnetintensität eine höhere Plasmadichte erreicht werden. Im März 2018 heizte der ST-40 erstmals ein Wasserstoffplasma auf 15 Millionen Grad auf, in den nächsten Monaten sollen die 100 Millionen Grad erreicht werden. „Dies wird das erste Mal sein, dass ein privates Unternehmen diesen Meilenstein erreicht“, sagt Tokamak Energy CEO Jonathan Carlin.
Pneumatische Kompression und Gaskanonen
Einen völlig anderen Ansatz haben dagegen zwei weitere Fusions-Startups, denn sie lösen die Kernfusion in ihren Anlagen durch eine abrupte, kurze Plasmakompression aus. Das kanadische Unternehmen General Fusion nutzt dafür die sogenannte Magnetized Target Fusion. Dabei wird das Plasma in eine von einer rotierenden Wand aus flüssigem Lithium begrenzte Kammer eingeschossen. Anschließend drücken hunderte pneumatischer Kolben die Lithiumwand so weit zusammen, dass das Plasma bis auf Fusionstemperatur und -dichte komprimiert wird.
Ein erster Reaktor nach diesem Prinzip soll ab 2022 in Kooperation mit der britischen Atomenergiebehörde in der Nähe von Oxford in England gebaut werden. Erstes Ziel ist es, in dieser Anlage ein Deuterium-Plasma auf 100 Millionen Grad aufzuheizen und so die Machbarkeit dieser im Vergleich zu klassischen Tokamaks weniger aufwändigen Technologie zu beweisen. Um nicht auf das knappe Tritium angewiesen zu sein, wird der Testreaktor nur mit Deuterium gespeist, was eine Fusion erschwert. Doch wenn dies gelingt, dann sei auch die Fusion mit Deuterium-Tritium kein Problem, heißt es bei General Fusion.
Das ebenfalls in Oxford angesiedelte Startup First Light Fusion setzt auf Hochgeschwindigkeits-Kanonen, um Gas oder ein festes Projektil auf ein Ziel zu schießen und an diesem Punkt Fusionsbedingungen zu erzeugen. Tests mit ihrer bereits 2019 gebauten Anlage „Machine 3“ laufen bereits, sind aber noch nicht weit genug fortgeschritten, um eine Fusion oder gar ein Breakeven zu erreichen.
Diese Fusions-Unternehmen und ihre ehrgeizigen Pläne demonstrieren, dass die Fusionsenergie inzwischen auch für kommerzielle Kreise genug Aussicht auf Machbarkeit bekommen hat, um größere Investitionen zu rechtfertigen. Ob sich langfristig die Nachfolger von ITER durchsetzen werden oder aber eine der alternativen Technologien, bleibt abzuwarten.