Die Wechselwirkungen zwischen Galaxien, ihrer Sternbildung und intergalaktischen Gasen laufen über Millionen oder gar Milliarden von Jahren hinweg ab, so dass wir nicht direkt beobachten können, was da vor sich geht. Trotzdem gibt es Möglichkeiten für Astronomen, mehr zu erfahren: Computersimulationen von virtuellen Universen, deren Evolution denselben physikalischen Gesetzen folgt wie in unserem eigenen Universum.
Simulation rekonstruiert Galaxienentwicklung
Die Ergebnisse solcher Simulationen lassen sich mit echten astronomischen Beobachtungen vergleichen – und innerhalb der Simulationen können wir dann jeweils der Frage nachgehen wie das, was wir da sehen, entstanden ist. Annalisa Pillepich, eine Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), ist auf diese Art kosmologischer Simulationen spezialisiert. Die IllustrisTNG-Simulationsreihe, die Pillepich mit geleitet hat, liefert die bisher detailliertesten virtuellen Universen – Universen, in denen Forscher die Bewegung von Gas auf vergleichsweise kleinen Skalen verfolgen können.
IllustrisTNG liefert einige extreme Beispiele für Satellitengalaxien, die ihr Gas gerade erst durch den Staudruck verloren haben: sogenannte „Quallen-Galaxien“, die die Überreste ihres Gases hinter sich herziehen wie Quallen ihre Tentakel. Tatsächlich ist die Identifizierung aller Quallen-Galaxien in diesen Simulationen ein kürzlich gestartetes Citizen-Science-Projekt auf der Plattform Zooniverse. Dort können Freiwillige bei der Erforschung der Quallen-Galaxien mithelfen.
Aber obwohl Quallen-Galaxien für die Erforschung der Satellitengalaxien wichtig sind, war der Ausgangspunkt für das hier beschriebene Forschungsprojekt ein anderer: Bei einem Mittagessen im November 2019 erzählte Pillepich dem auf Beobachtungen spezialisierten Astronomen Ignacio Martín-Navarro, der mit einem Marie-Curie-Stipendium am MPIA war, von einem anderen IllustrisTNG-Ergebnis: Es zeigte, wie weit der Einfluss supermassereicher Schwarzer Löcher über ihre Heimatgalaxie hinaus in den intergalaktischen Raum reicht.
Zoom auf aktive Schwarze Löcher
Supermassereiche Schwarze Löcher finden sich im Zentrum so gut wie aller Galaxien. Materie, die auf ein solches Schwarzes Loch fällt, wird typischerweise Teil einer rotierenden Scheibe, der sogenannten Akkretionsscheibe, die das Schwarze Loch umgibt. Vom inneren Rand der Akkretionsscheibe aus fällt Materie in das Schwarze Loch hinein. Fällt von außen weitere Materie auf die Akkretionsscheibe, setzt das eine enorme Energiemengen in Form von Strahlung frei.
Oft entstehen auch zwei entgegengesetzte Jets aus schnell bewegten Teilchen, die rechtwinklig zur Akkretionsscheibe vom Schwarzen Loch weg beschleunigt werden. Ein supermassereiches Schwarzes Loch, das auf diese Weise Energie abstrahlt, nennt man Aktiven Galaxienkern, nach dem englischen active galactic nucleus abgekürzt zu „AGN“. IllustrisTNG ist zwar nicht detailliert genug, um Jets von Schwarzen Löchern einzubeziehen. Aber das Modelluniversum ist so detailliert, dass es allgemeiner simulieren kann, wie ein AGN dem umgebenden Gas Energie zuführt.
Gas folgt dem Weg des geringsten Widerstands
Wie die Simulation zeigte, führt diese Energiezufuhr zu Gasflüssen, die sich entlang eines Weges des geringsten Widerstands ausbreiten: Im Fall von Scheibengalaxien, ähnlich unserer eigenen Milchstraße, geschieht dies senkrecht zur Sternscheibe. Bei sogenannten elliptischen Galaxien dagegen senkrecht zu einer geeigneten Ebene, die durch die Anordnung der Sterne der Galaxie definiert ist. Mit der Zeit arbeitet sich das ausströmende Gas senkrecht zur Scheibe oder bevorzugten Ebene soweit nach außen vor, dass es die intergalaktische Umgebung beeinflusst – also das dünne Gas, das die Galaxie umgibt.
Die Gasflüsse drücken das intergalaktische Gas weiter nach außen, so dass auf jeder Seite der Galaxie eine gigantische Blase entsteht. Das war der Umstand, der Pillepich und Martín-Navarro zum Nachdenken brachte: Wenn eine Satellitengalaxie eine solche Blase durchquert – würden die vom AGN hervorgerufenen Gasflüsse zum Fahrtwind beitragen, den die Satellitengalaxie verspürt, und würde die Sternentstehungsaktivität der Satellitengalaxie dadurch noch weiter gebremst werden?