Urzeit-Blut im Visier: Forscher haben erstmals die Blutgruppen von Neandertalern und Denisova-Menschen entschlüsselt. Demnach hatten diese mit uns eng verwandten Frühmenschen schon wie wir die volle Bandbreite der AB0-Blutgruppen. Überraschenderweise besaßen die Neandertaler aber einen Rhesusfaktor D, der fast allen modernen Menschen fehlt. Nur wenige Ureinwohner von Papua-Neuguinea und Australien teilen ihn. Das wirft neues Licht auf die frühe Ausbreitung der Neandertaler.
Je nach Blutgruppe tragen unsere Roten Blutkörperchen verschiedene Proteine auf ihrer Oberfläche. Neben dem bekannten AB0-System und dem Rhesusfaktor sind fast 40 verschiedene Blutgruppenfaktoren bekannt. Sie bestimmen, zu welcher Blutgruppe wir gehören und ob unser Blut beispielsweise für eine Transfusion in Betracht kommt. Die Oberflächenmoleküle der Roten Blutkörperchen können aber auch eine Rolle dafür spielen, wie anfällig wir für bestimmte Erreger wie Durchfall-Viren, SARS-CoV-2 oder für einen Herzinfarkt sind.
Genanalyse bei drei Neandertalern und einem Denisova-Menschen
Doch trotz dieser großen Bedeutung der Blutgruppen ist bisher nur wenig darüber bekannt, welche Blutgruppen frühe Menschenarten wie die Neandertaler oder die Denisova-Menschen besaßen. Beide gehören zu den Frühmenschen, die genetische Spuren auch in unserem Erbgut hinterlassen haben: Denisova-Menschen bei den Tibetern, Neandertaler bei allen Europäern und vielen Asiaten.
Um mehr über die Blutgruppen dieser beiden Vettern des Homo sapiens zu erfahren, haben Silvana Condemi von der Universität Aix Marseille und ihre Kollegen das Erbgut von drei verschiedenen Neandertalern aus der Zeit von 100.000 bis 40.000 Jahren und einem Denisova-Menschen untersucht. Sie verglichen dabei die Gene der sieben wichtigsten Blutgruppenfaktoren, darunter auch AB0 und Rhesusfaktor, mit denen des modernen Menschen und früher Vertreter des afrikanischen Homo sapiens.
AB0 und Anpassungen an frühe Viren
Das Ergebnis: Ähnlich wie der moderne Mensch besaßen auch unsere frühen Verwandten schon verschiedene Varianten der AB0-Gene. Zwei der Neandertaler hatten die Blutgruppe A1, einer die Gruppe B und der Denisova-Mensch gehörte zur Blutgruppe 0. Damit ähneln diese beiden Menschenarten nicht nur dem modernen Homo sapiens, sondern auch unseren archäischen Vorfahren.
Interessant jedoch: Die Frühmenschen besaßen einige Blutgruppenfaktoren, die es bei den Menschenaffen noch nicht gab, die aber auch bei heutigen Menschen nicht vorkommen. Beim H/Se-System identifizierten Condemi und ihr Team eine Genvariante, die nur beim Denisova-Menschen existierte. Eine zweite Variante war bei den Neandertalern präsent, kommt heute aber nur in einigen Populationen Südostasiens und Ozeaniens vor.
Das Forschungsteam vermutet, dass sich diese seltene Varianten bei den Frühmenschen als Reaktion auf vermehrte Infektionen durch bestimmte Erreger entwickelt haben. „Von diesem Phänotyp ist bekannt, dass er mehr Resistenz gegenüber einigen Viren verleiht, vor allem gegenüber dem Norovirus“, so die Wissenschaftler.
Rhesusfaktor zeigt Verbindung zu den Aborigines
Überraschend auch: Alle drei Neandertaler trugen Anlagen für den Rhesusfaktor RhD – eine Butgruppen-Komponente, die bis vor kurzem bei modernen Menschen unbekannt war. Erst 2019 wurde sie erstmals bei einem australischen Aborigine entdeckt. Seither haben Forscher diesen seltenen Rhesustyp noch bei drei Ureinwohnern Papua-Neuguineas und einem weiteren Aborigine nachgewiesen.
Nach Ansicht von Condemi und ihrem Team könnte dies darauf hindeuten, dass dieser Rhesusfaktor über Kreuzungen des Homo sapiens mit Neandertalern nach Ozeanien gelangte. „Der RhD-Typ könnte vor rund 65.000 Jahren bei Kreuzungen von Neandertalern mit dem Homo sapiens in der Levante in den menschlichen Genpool gelangt sein. Die Träger dieser Gene gehörten dann zu der Menschengruppe, die sich vom Nahen Osten aus bis nach Südostasien und Ozeanien ausbreitete.
Hinweise auf genetische Verarmung
Zuletzt liefert die Blutgruppen-Analyse auch neue Indizien für eine genetische Verarmung der Neandertaler-Populationen. Denn obwohl die drei untersuchten Individuen bis zu 5.000 Kilometer voneinander entfernt lebten und sie auch zeitlich bis zu 50.000 Jahre auseinander lagen, stimmte ein Großteil ihrer Genvarianten überein. „Dies könnte auf vermehrte Inzucht bei den Neandertalern zurückgehen“, erklären die Forschenden.
Eine solche genetische Verarmung gilt als einer der möglichen Gründe, warum die Neandertaler ausstarben: Sie konnten sich nur ungenügend an wechselnde Umweltbedingungen anpassen und wurden daher vom genetisch und biologische offenbar flexibleren Homo sapiens abgelöst. Dazu passt auch, dass die Verteilung ihrer Rhesusfaktoren die Neandertaler besonders anfällig für eine Rhesusunverträglichkeit von Mutter und Kind machten. Als Folge könnte es vermehrt zu Fehlgeburten gekommen sein, so die Vermutung des Teams. (PLoS ONE, 2021; doi: 10.1371/journal.pone.0254175)
Quelle: CNRS