Mikrochips im Gehirn: Forscher haben eine neue Art von implantierbaren Sensoren fürs Gehirn entwickelt – Neurograins. Sie sind kabellos, so klein wie ein Salzkorn und können zu hunderten auf die Hirnoberfläche aufgebracht werden. Dort agieren sie als Sensor-Netzwerk, das Hirnsignale abgreift und Hirnareale gezielt stimulieren kann. Die Neurograin-Technologie könnte neue Einblicke in die Funktionsweise unseres Denkorgans liefern, aber auch neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, wie das Team im Fachmagazin „Nature Electronics“ berichtet.
Mensch-Maschine-Schnittstellen ermöglichen es, Hirnsignale abzuleiten und auszulesen oder auch bestimmte Hirnareale zu stimulieren. Meist geschieht dies über implantierte Elektroden, die mit Computern verbunden sind. Mithilfe solcher Systeme können Gelähmte Roboterarme und Prothesen steuern, Patienten mit Parkinson oder schwerer Depression erhalten darüber eine Tiefe Hirnstimulation. Sogar verbale und visuelle Gedanken lassen sich mithilfe solcher Schnittstellen bereits auslesen.
Die meisten dieser Systeme nutzen kompakte „Pflaster“ aus einigen Dutzend bis hundert Elektroden, die auf die Hirnoberfläche aufgebracht und dann über Kabel oder Drahtlosverbindung mit einem Empfangsmodul außerhalb des Kopfes verbunden sind. Der Nachteil ist jedoch, dass diese Arrays nur jeweils ein Hirnareal abdecken. Ein umfassendes Auslesen der Hirnsignale ist so kaum möglich.
Ein Netzwerk aus Mikrochips
„Unser Idee war es daher, die monolithischen Sensor-Blöcke in winzige Einzelsensoren aufzuteilen, die über den gesamten Cortex verteilt werden können“, erklärt Seniorautor Arto Nurmikko von der Brown University. Dafür konstruierten er und sein Team „Neurograins“ – winzige, vernetzte Sensoreinheiten, die autonom Hirnsignale erkennen, auffangen, verstärken und in Form von kabellosen Signalen an eine außen auf dem Kopf aufliegende Empfangseinheit senden.
Die nur daumenabdruckgroße Empfangseinheit klebt wie ein Pflaster auf der Kopfhaut und übernimmt mehrere Funktionen. Zum einen funktioniert sie wie eine Art Router, indem sie die Signale der jeweils über eine eigene Netzwerkadresse ansteuerbaren Neurograins koordiniert und an einen Computer weitersendet. Zum anderen versorgt das „Pflaster“ die kleinen Mikrochips drahtlos mit Energie.
„Das war eine multidisziplinäre Herausforderung“, sagt Erstautor Jihun Lee von der Brown University. „Wir mussten Expertise in Elektromagnetismus, Radiofrequenzkommunikation, Schaltkreis-Design und Neurowissenschaft zusammenbringen, um das Neurograin-System zu entwickeln.“
Test bei Ratten erfolgreich
Einen ersten Praxistest haben die Neurograins bereits bestanden: Das Forscherteam setzte einer betäubten Ratte 48 dieser Mikrochips auf die Hirnoberfläche und konnte damit erfolgreich die typischen Hirnsignale des narkotisierten Tieres ableiten. Weil die Mikrochips über ihre Netzwerkadressen einzeln identifizierbar sind, lässt sich genau ermitteln, von wo welche Signale kommen.
Auch eine gezielte Stimulation war über dieses Netzwerk von Neurograins möglich. „Wir wählten zunächst ein einzelnes Neurograin des implantierten Ensembles aus und ließen es eine Reihe von elektrischen 100 Hertz-Pulsen aussenden“, berichten Lee und seine Kollegen. In weiteren Tests sendeten sie die Stimulationsbefehle an mehrere Neurograins gleichzeitig, so dass ein spezifisches räumliches Muster der Reizung entstand. „Die Tests bestätigen, dass die Mikrochips einzeln auf Downlink-Befehle ansprechen und eine elektrische Mikrostimulation in einem zuvor definierten Muster verabreichen können“, schreibt das Team.
Chance für Neuroforschung und Therapie
Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnet die Neurograin-Technologie ganz neue Chancen, mehr über die Arbeitsweise des Gehirns zu erfahren. In seiner jetzigen Form kann das Mikrochip-Netzwerk bereits bis zu 770 einzelne Sensoren umfassen. Die Forscher planen aber bereits, die Neurograins noch weiter zu verkleinern und das Netzwerk auf mehrere tausend solcher salzkorngroßer Chips zu erweitern.
„Unsere Hoffnung ist es, dass wir damit letztlich ein System entwickeln, das neue wissenschaftliche Einblicke ins Gehirn eröffnet und neue Therapien ermöglicht“, sagt Nurmikko. Der Gedanke an Mikrochips im Gehirn dürfte allerdings bei manchen Menschen eher Unbehagen als Begeisterung wecken. (Nature Electronics, 2021; doi: 10.1038/s41928-021-00631-8)
Quelle: Brown University