Biologie

Tintenfische: Gedächtniskünstler bis ins hohe Alter

Sepien sind die einzigen bislang bekannten Tiere ohne altersbedingten Gedächtnisverlust

Tintenfisch
Tintenfische sind nicht nur schlau, sie behalten auch ihr gutes episodisches Gedächtnis ihr Leben lang – anders als die meisten Tiere. © Alexandra Schnell/ University of Cambridge

Schlaue Kopffüßer: Tintenfische sind nicht nur ziemlich intelligent, anders als bei uns lässt ihr Gedächtnis auch im Alter nicht nach. Die Tintenfische erinnern sich bis zu ihrem Tod genau daran, wann und wo sie sich mit einem Weibchen gepaart haben oder was sie wann und wo gefressen haben. Damit sind sie bisher einzigartig unter den Tieren. Offenbar ist ihr Gedächtniszentrum, der vertikale Lappen, weniger anfällig für altersbedingten Abbau als unser Hippocampus.

Tintenfische und andere Kopffüßer sind keine Wirbeltiere und erscheinen damit auf den ersten Blick als eher primitive Lebewesen. Doch diese Annahme könnte irriger kaum sein. Wissenschaftler stellen immer wieder fest, dass die Kopffüßer zu den intelligentesten und anpassungsfähigsten Bewohnern der Meere gehören. Sie sind Meister der Camouflage, nutzen Werkzeuge und können sogar zählen. Studien zeigen zudem, dass ihr Gehirn in Neuronenzahl und Verknüpfung dem der Hunde kaum nachsteht.

Mit dem Alter kommt der graduelle Abbau – meistens

Wie es um das Gedächtnis der Tintenfische steht, haben nun Alexandra Schnell von der University of Cambridge und ihre Kollegen untersucht. Im Speziellen wollten sie wissen, wie sich das Gedächtnis der Tiere mit dem Alter verändert. „Beim Menschen geht das Altern meist mit dem Nachlassen des Gedächtnisses einher und das episodische Gedächtnis ist typischerweise das erste und am stärksten davon betroffene“, erklären die Forschenden. Auch bei anderen Tieren wurde dieser alterstypische Abbau beobachtet.

Wie aber ist dies bei den Tintenfischen? Um das herauszufinden, führte das Team bei jungen und alten Tintenfischen (Sepia officinalis) mehrere Gedächtnistests durch. Dabei mussten sich die Tiere unter anderem merken, wo sie wann welches Futter bekamen und in welchen Abständen. Nur wenn sie sich an die vergangen Mahlzeiten und deren Begleitumstände korrekt erinnerten, konnten sie ermitteln, wann und wo es die nächste Mahlzeit gab.

Keine Gedächtniseinbußen im Alter

Die Tests ergaben Überraschendes: Anders als erwartet erinnerten sich auch die greisen Tintenfische bestens an die vergangene Erfahrungen. „Sie wissen noch genau, was sie gefressen haben, wann und wo und nutzen dies, um ihre künftigen Entscheidungen zu treffen“, sagt Schnell. Erstaunlicherweise benötigten die alten Kopffüßer sogar weniger Versuche als ihre junge Artgenossen – ihr Lernvermögen war offensichtlich noch ebenso gut wie ihr episodisches Gedächtnis.

„Viele der alten Tintenfische schnitten in der Testphase sogar besser ab als die jungen“, berichtet Schnell. Die Tiere konnten sich problemlos daran erinnern, wann sie ein bestimmtes Frühstück verspeist hatten, was es zu fressen gegeben hatte und wo.

Gedächtniszentrum ist resistent gegen die Degeneration

„Die Tintenfische sind damit der erste Beleg für ein Tier, das gegen den altersbedingten Abbau des Gedächtnis resistent scheint – zumindest in Bezug auf das episodische Gedächtnis“, konstatieren die Forschenden. Anders als unser Hippocampus bleibt der Vertikallappen der Tintenfische – der Ort in ihrem Gehirn, der das Gedächtniszentrum beherbergt – offenbar verblüffend jung und funktionsfähig, selbst im hohem Alter. Aber warum?

„Es ist überraschend, dass die Tintenfische ihr Gedächtnis mit dem Alter nicht verlieren, obwohl sie durchaus andere Alterserscheinungen zeigen“, sagt Schnell. So verlieren greise Kopffüßer ihren Appetit, leiden unter Muskelschwund und auch ihr Gehirn baut im Alter ab. „Alte Tintenfische zeigen viele Anzeichen für eine Degeneration in den Gehirnstrukturen, die für das Einlagern und Abrufen von Erinnerungen zuständig sind“, erklären die Wissenschaftler.

„Im Gegensatz dazu ist aber ihr Vertikallappen, das Zentrum fürs Lernen und die Gedächtnisverarbeitung, hochgradig resistent gegenüber der altersbedingten Degeneration.“ Erst in den zwei bis drei Tagen vor dem Tod eines Tintenfisches hört er auf zu fressen und dann setzt auch im Vertikallappen der schnelle Abbau ein.

Tintenfische im Gedächtnistest.© University of Cambridge

Anpassung an späte Fortpflanzung?

Nach Ansicht von Schnell und ihrem Team legt dies nahe, dass der geistige Abbau bei den Tintenfische nicht so graduell erfolgt wie bei uns und den meisten anderen Tieren. Aber warum? Eine mögliche Erklärung wäre die ungewöhnlich späte Fortpflanzung der Tiere: Sie paaren sich erst kurz vor ihrem Tod. Möglicherweise hilft ihnen das intakt bleibende Gedächtnis dabei, sich die Territorien potenzieller Partner zu merken und auch die Nahrungsressourcen, die sie für die Paarungs- und Brutpflegezeit benötigen.

„In jedem Fall unterstreichen diese Ergebnisse, dass der Gemeine Tintenfisch ein sehr interessantes Modell ist, um eine solche Resistenz gegen den altersbedingten Gedächtnisverlust näher zu erforschen“, konstatiert das Forschungsteam. (Proceedings of the Royal Society B Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.1052)

Quelle: University of Cambridge

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