Medizin

Afghanistan: WHO befürchtet Covid-19-Katastrophe

Machtübernahme der impfskeptischen Taliban könnte medizinisches Desaster verursachen

Afghanische Flüchtlinge
Die Menschen in Afghanistan leiden nicht nur unter Krieg und der Willkür der Taliban, auch die Corona-Pandemie könnte sich in dem gebeutelten Land rasant ausbreiten. © US Air Force/ Air Mobility Command

Doppeltes Leid: Als hätten die Afghanen im Moment nicht schon genug zu leiden, droht ihnen nun auch erhöhte Gefahr durch Covid-19. Die WHO befürchtet, dass dem Land eine medizinische Katastrophe bevorstehen könnte. Denn bisher sind kaum Menschen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft und die Taliban lehnen bisher alle Impfungen ab. In Kombination mit Flüchtlingsströmen, zusammengebrochenen Lieferketten und einem ohnehin maroden Gesundheitssystem wird ein unkontrollierter Anstieg der Coviv-19-Fälle befürchtet.

Ähnliche wie viele ärmere Länder hat Afghanistan in Bezug auf die Corona-Pandemie in doppelter Hinsicht schlechte Karten: Das Gesundheitssystem ist in vielen Regionen drastisch unterversorgt oder kaum vorhanden. Wer schwer an Covid-19 erkrankt, dem kann daher selbst in Kliniken kaum geholfen werden. Hinzu kommt, dass die ärmeren Länder bisher nur wenig Impfstoff gegen das Coronavirus bekommen haben – es fehlt an Geld und lieferbaren Dosen.

Flüchtlinge
Afghanische Ortskräfte und ihre Familien werden zumindest zum Teil ausgeflogen. Doch für die Zurückbleibenden gibt es kaum medizinische Versorgung. © US Air Force/ Air Mobility Command

Als Folge dessen sind in Afghanistan bisher weniger als 1,9 Millionen Dosen Corona-Impfstoffe verabreicht worden – bei 40 Millionen Einwohnern. Auch die Zahl der Genesenen ist vermutlich noch nicht sehr hoch. Seit Anfang dieses Jahres wurden rund 150.000 Fälle von Covid-19 bestätigt, 7.000 Menschen sind daran gestorben. Selbst wenn man eine hohe Dunkelziffer berücksichtigt, ist der größte Teil der afghanischen Bevölkerung vermutlich noch anfällig für die Infektion mit SARS-CoV-2, so die WHO.

Fallzahlen steigen, Krankheiten nehmen zu

Durch die Machtübernahme der Taliban und den Sturz der afghanischen Regierung hat sich die ohne prekäre medizinische Situation in Afghanistan noch einmal deutlich verschlechtert: „In den Gebieten, in die sich viele Menschen geflüchtet haben, wie Kabul und die anderen großen Städte, deuten Feldberichte schon auf eine steigende Zahl von Fällen mit Covid-19-typischen Symptomen hin, aber auch von Mangelernährung, Durchfällen und Bluthochdruck“, so die WHO.

Vor allem in Kabul steige das Infektionsrisiko rapide an: „Gedränge in den medizinischen Versorgungspunkten und den Flüchtlingscamps führt dazu, dass Seuchenschutz-Protokolle nicht mehr eingehalten werden können und so das Risiko für eine Übertragung von Covid-19 steigt“, berichtet die WHO. Hinzu komme, dass die Probleme am Flughafen den Nachschub dringend benötigter medizinischer Güter verhindern.

Taliban lehnen Impfungen ab – generell

Ein weiteres Problem sind die Taliban und ihre fundamentalistische, eher medizinfeindliche Einstellung: „Im ostafghanischen Paktia-Distrikt haben die Taliban beispielsweise Zettel aufgehängt, in denen sie die Bevölkerung davor warnen, sich impfen zu lassen, und ebenso Medizinteams, Impfungen durchzuführen“, berichtet Shahid Meezan, ein UN-Berater, der bis vor kurzem in Afghanistan lebte.

Tatsächlich gelten die Taliban als der Grund, warum Afghanistan bis heute eines der wenigen Länder weltweit ist, in denen Polio noch nicht ausgerottet wurde. In den schon länger unter Taliban-Herrschaft stehenden Provinzen des Landes haben die islamistischen Führer einen Bann gegen die Impfungen ausgesprochen. „Die Taliban haben die Impfkampagnen gegen die Kinderlähmung abgelehnt und deshalb ist Afghanistan eines der Länder, in denen das Poliovirus noch immer kursiert“, sagt Amesh Adalja vom Johns-Hopkins-Center for Health Security.

Gesundheitssystem chancenlos gegen Covid-19-Schwemme

Ähnliches befürchten die WHO und viele andere Medizinexperten nun auch für SARS-CoV-2: „Wenn auch diese Impfungen gestoppt werden, wird Covid-19 in Afghanistan schwer zu kontrollieren sein“, sagt Musa Joya von der Medizinischen Universität Kabul. Erschwerend komme hinzu, dass vielen Afghanen die Gefahr durch das Coronavirus kaum bewusst sei. „Die Kombination dieser beiden Faktoren – keine Impfung und kaum Selbstschutz – könnten in einem Desaster enden“, so Joya.

Sollte es in Afghanistan tatsächlich zu einem starken Anstieg der Covid-19-Fälle kommen, wäre das Land weitgehend hilflos. Es fehle an medizinischer Expertise, an Geld und an Nachschub medizinischer Produkte, sagt Carl Latkin von der Johns Hopkins University. „Eine schnelle Ausbreitung von Covid-19 würde den Menschen noch mehr Leid und Elend in dieser ohnehin schlimmen Situation bringen.“

Werden die Taliban einlenken?

Als einzige Chance sieht es der Mediziner, wenn man die Taliban davon überzeugen könnte, dass auch sie Vorteile davon haben, wenn sie die Impfungen zulassen. „Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Taliban den komplexen und international verwobenen Strukturen trauen, die für die Verteilung der Impfstoffe nötig sind“, so Latkin. Ein Antrieb dafür könnte möglicherweise sein, dass die Taliban danach streben, dass ihr Regime auch international von möglichst vielen Ländern anerkannt wird.

Bei ihrer letzten Machtübernahme von 1999 bis 2001 wurden die Taliban nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten anerkannt. „Diesmal suchen die Taliban internationale Hilfe und eine breitere Anerkennung in der Welt – das könnte bedeuten, dass sie auch in Dingen wie der Impfung eher bereit sind zu kooperieren“, sagt Meezan.

Quelle: WHO, SciDev.Net /CC-by-sa 2.0

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