Hoffnung für Long-Covid-Patienten? Mediziner haben einen neu entwickelten Wirkstoff zum dritten Mal erfolgreich gegen Long Covid eingesetzt. Verblüffend schnell behob das Mittel Schwäche, Lähmungen und neurologische Ausfallerscheinungen, die für die Spätfolgen einer Coronavirus-Infektion typisch sind. Die Forscher vermuten, dass das ursprünglich gegen eine Herzerkrankung entwickelte Medikament die nach der Corona-Infektion gebildeten Autoantikörper sowie Durchblutungsstörungen bekämpft.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 hinterlässt Spuren im Körper – selbst nach einer ursprünglich milden oder sogar asymptomatischen Infektion. Bei rund zehn Prozent der Betroffenen führt dies zu Spätfolgen in Form des Long-Covid-Syndroms. Typische Symptome sind anhaltende Erschöpfung bis hin zu Lähmungen, Kopfschmerzen, Fieberschübe und Atembeschwerden. Bei vielen Patienten kommen neurologische Ausfälle wie Konzentrationsprobleme und Gedächtnisstörungen dazu – der gefürchtete Hirnnebel. Bisher gibt es außer gezielten Reha-Maßnahmen keine Therapie, die Long Covid heilen kann. Vor den Betroffenen liegt daher oft ein langer, schwerer Weg zur Besserung.
Ansatzpunkt bei den Autoantikörpern
Hoffnung macht nun ein Heilversuch, den Mediziner des Universitätsklinikums Erlangen durchgeführt haben. Ausgangspunkt dafür waren zwei Beobachtungen: Zum einen zeigen Patienten auch Monate nach einer akuten Corona-Infektion messbare Durchblutungsstörungen in der Netzhaut der Augen – und vermutlich auch anderen Geweben. Zum anderen haben US-Forscher herausgefunden, das Covid-19 die Bildung von Autoantikörpern verursacht – Antikörpern, die gegen körpereigene Proteine und Rezeptoren gerichtet sind (doi: 10.1038/s41586-021-03631-y).
Einige dieser Autoantikörper wurden von einem deutschen Forschungsteam auch schon bei Patienten mit Long Covid nachgewiesen (doi: 10.1016/j.jtauto.2021.100100). Besonders oft vertreten sind dabei Immunglobuline, die an sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren auf den Zelloberflächen binden. Diese Antikörper sind auch von einigen neurologischen Erkrankungen und einer Herzkrankheit bekannt, bei der diese Autoantikörper die Herzmuskelzellen angreifen und die Durchblutung stören.
Erste Long-Covid-Heilversuche mit experimentellem Wirkstoff BC 007
Das Spannende daran: Gegen die Autoantikörper der Herzkrankheit gibt es bereits ein experimentelles Mittel. Der BC 007 getaufte Wirkstoff wurde von der Biotech-Firma Berlin Cures entwickelt, einer Ausgründung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin und der Charité Berlin. Es handelt sich um einen kurzen, einsträngigen DNA-Abschnitt, der gezielt an bestimmte Proteine bindet – und offenbar auch Autoantikörper-Interaktionen mit den G-gekoppelten Rezeptoren unterbinden kann.
Dies brachte die Mediziner des Universitätsklinikum Erlangen dazu, im Sommer 2021 den ersten Heilversuch bei einem 59-jährigen Patienten mit Long-Covid durchzuführen. Seither wurden zwei weitere Betroffene, eine 39-jährige Frau und ein 51-jähriger Mann, mit dem Wirkstoff BC 007 behandelt. Alle waren vor ihrer Coronavirus-Infektion fit und sportlich aktiv gewesen, aber durch Long Covid nun extrem körperlich und geistig eingeschränkt und arbeitsunfähig. „Ich war ein Abziehbild meiner selbst – ein Zombie und nicht ich“, beschreibt Patient Oliver G. seinen Zustand.
Die Betroffenen erhielten das experimentelle Mittel in einer einmaligen 75-minütigen Infusion und blieben danach drei Tage unter stationärer Kontrolle. Seitdem wird ihr Gesundheitszustand ambulant weiter überwacht.
Rapide Besserung bei allen Patienten
Das Ergebnis: Bei allen drei Patienten half BC 007 überraschend schnell und effektiv gegen die Long-Covid-Symptome. Schon in den ersten Tagen nach der Infusion nahmen Erschöpfung, Tremor und Lähmungserscheinungen der Betroffenen ab und ihre zuvor starken neurologischen Ausfälle besserten sich zusehends. „Meine körperliche, kognitive und psychische Leistungsfähigkeit ist zurückgekehrt. Das Dahinvegetieren hat ein Ende: Ich kann wieder klar denken, Freude empfinden und bin emotional stabil“, sagt Oliver G.
Die Besserung bestätigte sich auch in den klinische Messungen: „BC 007 neutralisiert die schädlichen Autoantikörper und die retinale Mikrozirkulation verbessert sich – also die Durchblutung in den feinsten Blutgefäßen des Auges. Allem Anschein nach führt das Medikament BC 007 zu einer besseren Durchblutung und damit zum Abklingen der Long-COVID-Beschwerden“, berichtet Bettina Hohberger von der Augenklinik des Universitätsklinikum Erlangen.
Klinische Studie noch in diesem Jahr
Nach Ansicht des Forschungsteams sind die Ergebnisse dieser Heilversuche so vielversprechend, dass nun eine größere klinische Studie folgen soll: „Wir haben beim Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Antrag auf Fördergelder gestellt und hoffen, dass er bewilligt wird. Dann könnten wir vielleicht noch dieses Jahr mit einer klinischen Studie starten“, sagt Christian Mardin, leitender Oberarzt der Augenklinik.
Im Rahmen der weiteren Studien soll auch geklärt werden, wie und warum BC 007 gegen Long Covid wirkt: „Die genauen Wirkmechanismen wollen wir in Zukunft noch genauer erforschen“, sagt Hohberger. Menschen mit Long-Covid-Symptomatik, die an einer Studienteilnahme interessiert sind, können sich bis per E-Mail an recover.au@uk-erlangen.de wenden und werden kontaktiert, wenn die Studie startet und sie dafür infrage kommen.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg