Paradoxer Effekt: Ausgerechnet bei stark übergewichtigen Menschen bringt Sport deutlich weniger fürs Abnehmen als bei schlanken, wie nun eine Studie enthüllt. Denn ihr Ruheumsatz regelt sich stärker herunter, um den Mehrverbrauch der Bewegung auszugleichen. Von jeder mehr verbrannten Kalorie wird dadurch die Hälfte wieder eingespart. Im Extremfall nehmen die Betroffenen dadurch sogar zu statt ab, weil ihr Gesamtumsatz gleichbleibt oder sogar sinkt.
Egal ob mit Mittelmeerdiät, Low-Carb oder Intervallfasten: Zum gesunden Abnehmen wird meist empfohlen, täglich 500 bis 600 Kilokalorien weniger aufzunehmen als es unserem Energiebedarf entspricht – und erreichen soll man dies durch entsprechende Ernährungsanpassungen und mehr Sport. Letzterer erhöht den Energieverbrauch und addiert sich damit auf den von unserem Körper zum Erhalt der Lebensfunktionen benötigten Ruheumsatz dazu – so jedenfalls die gängige Theorie.
Energieverbrauch im Blick
Aber stimmt diese Rechnung überhaupt? Wie stark steigt unser Gesamtenergiebedarf durch vermehrte Bewegung? Genau das haben nun Vincent Careau von der University of Ottawa und seine Kollegen untersucht. Dafür werteten sie die Daten von 1.750 Männern und Frauen aus, deren Gesamtumsatz und Ruheumsatz durch regelmäßige Labormessungen der Atemgase und mittels isotopisch markiertem Wasser bestimmt worden ist.
Anhand diese Daten wollten die Wissenschaftler herausfinden, wie stark die durch vermehrte Bewegung verbrauchte Energie den Ruheumsatz und damit auch den Gesamtumsatz verändert. Bisher gibt es dazu sehr unterschiedliche Vorstellungen: Einer Hypothese nach erhöht sich bei verstärktem Sport auch der Ruheumsatz, weil beispielsweise zusätzliche Muskeln auch in Ruhe mehr Energie verbrauchen. Es gibt aber auch Modelle, nach denen der Ruheumsatz entweder gleichbleibt oder sogar absinkt.
Grundumsatz kompensiert Mehrverbrauch
Die Untersuchungen enthüllten Überraschendes: Von den beim Sport zusätzlich verbrannten Kalorien macht sich nur ein Teil im Gesamtumsatz bemerkbar. „Im Schnitt manifestieren sich bei einem typischen Menschen nur 72 Prozent der Extrakalorien, die wir durch vermehrte Bewegung verbrauchen, auch im gesamten Energieverbrauch an diesem Tag“, berichten Careau und seine Kollegen. Die restlichen 28 Prozent des Mehrumsatzes scheinen dagegen einfach zu verschwinden – sie tauchen in der Tagesbilanz nicht mehr auf.
Wie ist das zu erklären? Den Grund dafür enthüllten die Messungen des Ruheumsatzes bei den Testpersonen: Bei vielen von ihnen führte das erhöhte Sportpensum zwar zu mehr verbrannten Kalorien während der Aktivität, dafür sank aber der Energieverbrauch in den Ruhephasen. Mit anderen Worten: Wenn wir uns mehr bewegen, kompensiert der Körper diesen zusätzlichen Energiebedarf, indem er seinen Grundumsatz herunterfährt.
Je höher das Übergewicht, desto stärker die Kompensation
Das Gemeine daran: Diese Kompensation ist ausgerechnet bei den Menschen am stärksten, die starkes Übergewicht haben – und die daher besonders deutlich abnehmen müssten. Bei den Testpersonen mit Adipositas machten sich dadurch nur noch rund 51 Prozent der beim Sport verbrauchten Kalorien im Tagesenergiebudget bemerkbar, wie das Forschungsteam berichtet. Für jede beim Sport verbrannte Kalorien spart ihr Körper demnach eine halbe Kalorien im Ruheumsatz ein.
„Es scheint, dass der Stoffwechsel von Menschen mit mehr Körperfett entweder von vornherein den Zusatzverbrauch stärker kompensiert, oder aber, dass diese Kompensation stärker wird, je mehr jemand zunimmt“, schreiben Careau und sein Team. Sollte die erste Hypothese zutreffen, dann könnte das erklären, warum manche Menschen trotz gleicher Aktivität stärker zu Übergewicht neigen als andere – und warum sie so oft am Abnehmen scheitern.
Allgemeine Ratschläge greifen zu kurz
Die Ergebnisse bestätigen, dass es für sehr füllige Menschen deutlich mühsamer und schwieriger ist, an Gewicht zu verlieren – das Übergewicht wird fast zu einer Art Teufelskreis. „Der Körper von Menschen mit Adipositas ist offenbar besonders effektiv darin, die Fettreserven festzuhalten“, sagt Koautor John Speakman vom Shenzhen Institut für Technologie (SIAT). „Bei einigen Unglücklichen kann das sogar dazu führen, dass sie bei vermehrtem Sport zunehmen statt abzunehmen.“
Noch ist unklar, welche Mechanismen hinter dieser erhöhten Kompensation stecken – und warum sie mit dem Körperfettanteil zunimmt. „Wenn diese Energiekompensation aber eine genetische Basis hat, dann könnte es in Zukunft möglich sein, Menschen daraufhin zu untersuchen“, erklären die Forschenden. „Das könnte klären, ob Sport für sie überhaupt eine sinnvolle Ergänzung zur Diät wäre oder sogar eher kontraproduktiv.“ (Current Biology, 2021; doi: 10.1016/j.cub.2021.08.016)
Quelle: Chinese Academy of Sciences Headquarters