Isoliert und genetisch verarmt: Die Eisschmelze in der Arktis nimmt den Eisbären nicht nur ihren Lebensraum, sie isoliert sie auch zunehmend voneinander – mit fatalen Folgen für die genetische Vielfalt dieser bedrohten Tierart. Erste Anzeichen für eine solche genetische Verarmung haben Biologen jetzt bei den Eisbären von Spitzbergen entdeckt. Deren Genpool ist in nur 20 Jahren um drei bis zehn Prozent geschrumpft, wie die Forscher berichten.
Die Eisbären gehören zu den Tierarten, denen der Klimawandel besonders stark zusetzt. Zum einen schmilzt ihnen ihr Lebensraum, das Packeis der Arktis, buchstäblich unter den Pfoten weg. Als Folge finden sie vor allem im Sommer kaum noch Nahrung, weil sie nicht mehr auf dem Eis jagen können. Zum anderen haben die einzelgängerischen Bären immer mehr Probleme, ihre Paarungspartner zu finden – das verschwundene Meereis trennt ihre Territorien.
Blick ins Genom der Eisbären von Spitzbergen
Das Problem dabei: Wenn die Eisbärpopulationen zunehmend voneinander isoliert sind, stört dies den Genfluss innerhalb der Art. Paarungen finden dann vermehrt zwischen lokalen, oft miteinander verwandten Tieren statt, so dass kaum noch „frische“ Gene von zugewanderten Eisbären in die Population gelangen. Als Folge nimmt die genetische Vielfalt der Art ab und das könnte sie noch anfälliger für Krankheiten und Umweltveränderungen machen.
Ob es schon erste Anzeichen für eine solche genetische Verarmung gibt, haben nun Simo Maduna vom Norwegischen Institut für Bioökonomieforschung und seine Kollegen untersucht. Dafür werteten sie Genanalysen von 626 Eisbären aus, die rund um Spitzbergen leben und denen zwischen 1995 und 2016 DNA-Proben entnommen worden waren. „Unsere Studie umfasst damit mindestens zwei Generationen von Eisbären“, so die Forschenden.
Spitzbergen gehört zu den Regionen der Arktis, in denen sich der Rückgang des Meereises besonders stark bemerkbar macht. In der Barentssee hat die eisfreie Zeit seit 1979 um 41 Tage pro Dekade zugenommen, wie das Team erklärt.
In nur 20 Jahren um drei bis zehn Prozent verarmt
Die Analysen der Eisbären-Genome ergaben: Schon jetzt hat die genetische Vielfalt der Eisbären von Spitzbergen zwischen drei und zehn Prozent abgenommen, wie Maduna und seine Kollegen feststellten. „Besonders stark war der Verlust der genetischen Diversität und die Zunahme des Verwandtschaftsgrades bei den Eisbären im Nordwesten Spitzbergens“, berichtet das Team. „Dort war der Meereisverlust in den letzten 20 Jahren besonders schwerwiegend.“
Angesichts der relativ kurzen Studienzeit seien Ausmaß und Tempo der genetischen Verarmung alarmierend, betonen die Forschenden. Sie führen den Rückgang des Genaustauschs vor allem darauf zurück, dass immer weniger „pelagische“, wandernde Eisbären die Gegend von Spitzbergen über das Meereis erreichen können. Dadurch bleiben die lokalen Populationen unter sich und es kommt vermehrt zur Inzucht.
Beispiellos in der Eisbären-Geschichte
„Alarmierend ist dies auch deshalb, weil sich die Eisbären in ihrer bisherigen Geschichte kaum genetisch verändert haben“ betonen Maduna und sein Team. Selbst auf globale Ebene war die Eisbär-Population bisher relativ stark durchmischt. Studien legen zudem nahe, dass sich die Eisbären schon vor rund 600.000 Jahren von den Vorfahren der Braunbären abspalteten und seither nur wenig veränderten.
„Aber jetzt sind die Eisbären einem zunehmend stärkeren klimatischen Selektionsdruck ausgesetzt“, so die Wissenschaftler. Dieser hat dazu geführt, dass selbst auf dem vergleichsweise kleinen Gebiet rund um Spitzbergen jetzt schon drei Eisbärengruppen mit deutlichen genetischen Unterschieden entstanden sind. In anderen Teilen der Arktis hatten Forscher schon früher auch zunehmende Kreuzungen von Eisbären mit Braunbären beobachtet – auch das ein Hinweis auf gestörte Partnerfindung.
Voranzeiger auch für andere Eisbär-Populationen
Nach Ansicht der Forscher zeigt diese Region damit schon heute, was in naher Zukunft auch anderen Eisbär-Populationen blühen könnte: eine Zersplitterung in viele genetisch isolierte und durch Inzucht zunehmend verarmte Gruppen. Dies könnte das Überleben dieser einst perfekt an die Arktis angepassten Bären noch weiter erschweren. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.1741)
Quelle: Royal Society