Evolution

Homo sapiens war kältetoleranter als gedacht

Vor 45.000 Jahren lebten unsere Vorfahren auf dem Balkan in subarktischem Klima

Bacho-Kiro-Höhle
In der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien lebten vor 45.000 Jahren die frühesten bekannten Vertreter de Homo sapiens in Europa. Das Klima war damals allerdings alles andere als mild, wie nun Isotopendaten belegen. © Monodon/ Getty images

Überraschend abgehärtet: Auch wenn sie aus Afrika stammten, waren unsere Vorfahren offenbar kältetoleranter als gedacht. Denn auf dem Balkan überstanden sie vor rund 45.000 Jahren ein subarktisches Klima mit zehn bis 15 Grad niedrigeren Temperaturen als heute – es war ähnlich frostig wie heute im Norden Skandinaviens und Russlands, wie Isotopenanalysen belegen. Das wirft ein ganz neues Licht auf die Anpassungsfähigkeit und Ausbreitung unserer Spezies, so die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“.

Vor rund 45.000 Jahren erreichten die ersten Vertreter des Homo sapiens Europa – unsere Vorfahren. Bisher ging man davon aus, dass unsere aus Afrika und dem Nahen Osten kommenden Vorfahren den neuen Kontinent nur deshalb besiedeln konnten, weil das Klima dort milder wurde. Der bislang älteste Beleg für den Homo sapiens in Europa stammt aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. Vergleichende DNA-Analysen enthüllten allerdings, dass sich diese ersten Einwanderer offenbar nicht etablieren und vermehren konnten: Im heutigen Erbgut der Europäer haben sie keine Spuren hinterlassen.

Wildpferdzähne
Die im Zahnschmelz von fossilen Wildpferdzähnen konservierten Sauerstoffisotope ermöglichten die Rekonstruktion des lokalen Klimas.© Sarah Pederzani/ MPI-EVA Leipzig,CC-by-sa 2.0

Sauerstoffisotope als Klimaanzeiger

Jetzt liefern die Funde aus der Bacho-Kiro-Höhle eine weitere Überraschung – diesmal zum Klima der damaligen Zeit. Für ihre Studie hatten Sarah Pederzani vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Kollegen die Zähne von Wisenten und Wildpferden untersucht, deren Relikte in der gleichen Schicht gefunden wurden wie die Knochenstücke des Homo sapiens. Die in den Zahnschmelzschichten konservierten Anteile der verschiedenen Sauerstoffisotope verraten wie eine Art Jahresringe, welche Temperaturen zu Lebzeiten dieser Tiere herrschten.

Erstmals gelang es so, Klimadaten aus dieser Zeit direkt an einem Ort zu erheben, an dem Menschen lebten. Bisher wurden für die Rekonstruktion der europäischen Klimageschichte meist Eisbohrkerne aus Grönland und Sedimentbohrkerne aus Seen genutzt. „Durch die zeitintensive Analyse, die insgesamt 179 Proben umfasste, war es möglich, eine sehr detaillierte Aufzeichnung vergangener Temperaturen zu erstellen, einschließlich Schätzungen der Sommer-, Winter- und Jahresmitteltemperaturen für den Aufenthalt von Menschen in der Höhle“, berichtet Pederzani.

Subarktisch kalt statt mild

Die Analysen enthüllten: Das Klima auf dem Balkan war vor rund 45.000 Jahren deutlich kühler als bislang angenommen. Die Temperaturen lagen im Schnitt um 10 bis 15 Grad unter den heute dort üblichen und vor allem die Winter waren sehr kalt und streng. „Die Sauerstoff-Isotopenwerte und rekonstruierten Temperaturen legen nahe, dass die klimatischen Bedingungen zur Zeit der Besiedlung der Bacho-Kiro-Höhle denen im heutigen Norden Skandinaviens und Russlands entsprachen“, schreibt das Team.

Temperaturrekonstruktion
Rekonstruierte Temperaturen für die Zeit vor 45.000 bis rund 12.000 Jahren (grau, IUP) und nach Ende des Eiszeitalters (MP) im Vergleich zu den heute in Bulgarien herrschenden.© Pederzani et al./ Science Advances,CC-by-sa 4.0

Anders als bisher gedacht lebten diese Ur-Europäer demnach nicht unter den milden Klimabedingungen einer Zwischeneiszeit. Stattdessen herrschten subarktische Temperaturen, wie sie einer Kaltzeit in dieser Gegend entsprachen. „Das kontrastiert deutlich mit Modellen, nach denen der Homo sapiens bei seiner Ausbreitung in Europa warme Umgebungen bevorzugte“, erklären die Forschenden.

Neue Sicht auf unseren Vorfahren

Dies wirft ein ganz neues Licht auf die Anpassungsfähigkeit unserer Vorfahren und auch auf ihre Ausbreitung. Zum einen legen die Befunde aus der Bacho-Kiro-Höhle nahe, dass der Homo sapiens kältetoleranter war als bislang gedacht. „Wir konnten belegen, dass diese Menschengruppen flexibler in Bezug auf die von ihnen genutzten Umgebungen und anpassungsfähiger an unterschiedliche klimatische Bedingungen waren als angenommen“, sagt Pederzani.

Zum anderen bedeutet dies, dass unsere Vorfahren wahrscheinlich nicht erst milde Klimaphasen abwarten mussten, um in neue Gebiete vorzudringen. „Auf der Grundlage dieser neuen Erkenntnisse müssen nun neue Modelle für die Ausbreitung unserer Spezies über Eurasien erstellt werden, die ihre größere klimatische Flexibilität berücksichtigen“, sagt Seniorautor Jean-Jacques Hublin vom MPI für Evolutionäre Anthropologie. (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abi464)

Quelle: Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

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