Medizin

Mit „Prozac“ gegen Krebs?

Antidepressivum hemmt Tumorwachstum bei Mäusen

Krebszellen
Angriff von Abwehrzellen auf Tumorzellen. Ein altbekanntes Antidepressivum kann offenbar dazu beitragen, diese Immunreaktion gegen Krebs wieder anzukurbeln. © Christoph Burgstedt/ Getty images

Hoffnung für Krebspatienten? Ein altbekanntes Antidepressivum könnte gegen Darmtumore und Pankreaskrebs wirken, wie Tests mit Mäusen nahelegen. Das Mittel verlangsamte das Tumorwachstum bei den Tieren deutlich. In Verbindung mit einer Immuntherapie stoppte das Krebswachstum sogar ganz. Ursache ist die Wirkung des Antidepressivums auf den Botenstoff Serotonin, den die Krebszellen für ihre Tarnung vor den Abwehrzellen benötigen, wie die Forscher herausfanden.

Der Botenstoff Serotonin ist vor allem wegen seiner Wirkung als „Glückshormon“ im Gehirn bekannt: Fehlt er, kann eine Depression die Folge sein. Viele gängige Antidepressiva sind daher Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die die Konzentration des Botenstoffs im Gehirn hoch halten. Doch ein Großteil des körpereigenen Serotonins wird nicht im Gehirn ausgeschüttet, sondern in der Darmschleimhaut produziert und dann von Blutplättchen aufgenommen und gespeichert. Dieses Serotonin beeinflusst unter anderem den Verdauungstrakt und das Herz-Kreislauf-System.

Serotonin
Der Botenstoff Serotonin wirkt nicht nur im Gehirn. © Evgeny Gromov/ Getty images

Doppelt günstig für Krebstumore

Doch das ist nicht alles: Bestimmte Krebszellen profitieren ebenfalls von der Präsenz des Serotonins, wie Marcel Schneider von der Universität Zürich und seine Kollegen herausgefunden haben. Wie sie in zellbiologischen Tests herausfanden, nutzen die Tumorzellen das „Glückshormon“, um die Aktivität von Abwehrzellen des Immunsystems zu hemmen. „Das periphere Serotonin schwächt die Aktivität der zytotoxischen T-Zellen in den Tumoren“, erklären die Forscher.

Gleichzeitig hat das Serotonin noch einen zweiten Effekt: Mithilfe dieses Botenstoffs erzeugen die Krebszellen das immunhemmende Molekül PD-L1. Dieses bindet an die T-Zellen und verhindert damit zusätzlich, dass sie die Krebszelle zerstören oder „Alarm“ schlagen. Die Krebszellen entgehen so der Zerstörung durch das Immunsystem – unser Abwehr wird für die Tumore „blind“. „Dieser doppelt immunhemmende Effekt des Serotonins begünstigt damit das Tumorwachstum“, erklärt das Team.

Mit „Prozac“ gegen Darm- und Pankreaskrebs

Genau an diesem Punkt setzt nun die neue Therapie an. Von Antidepressiva wie dem als „Prozac“ bekannten Fluoxetin weiß man, dass sie zwar die Serotonin-Konzentration im Gehirn erhöhen. Weil das Mittel aber auch die Aufnahme des Botenstoffs durch die Blutplättchen hemmt, senkt es den Gehalt an peripherem Serotonin. Schneider und seine Kollegen haben daher untersucht, wie die Gabe von Fluoxetin bei Mäusen gegen Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsentumore wirkt.

Das Ergebnis: Die Behandlung verlangsamte das Tumorwachstum bei den Mäusen deutlich, gleichzeitig wanderten auch wieder vermehrt T-Zellen in die Krebsgeschwulste ein. „Diese Klasse von Antidepressiva und andere Serotoninblocker führen dazu, dass die Abwehrzellen die Tumorzellen wieder erkennen und effizient eliminieren“, erklärt Seniorautor Pierre-Alain Clavien von der Universität Zürich. „Dadurch wurde in den Mäusen das Wachstum von Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs gebremst.“

Kombination mit Immuntherapie

Noch stärker war der Effekt, wenn das Antidepressivum in Kombination mit einer gängigen Immuntherapie gegen Krebs eingesetzt wurde – den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren. Bei diesen verhindern Antikörper die Hemmung der T-Zellen durch PD-L1. Erhielten Mäuse beide Therapien kombiniert, verringerte sich ihr Tumorwachstum noch stärker. Bei einer Kombi-Therapie mit einem anderen Serotonin-Hemmstoff verschwanden die Krebsgeschwulste bei rund einem Drittel der Tiere sogar komplett.

Nach Ansicht des Forschungsteams wecken diese Ergebnisse Hoffnung auf eine neue Krebstherapie, die vor allem gegen schwer ansprechbare oder schon resistente Tumore wirken könnte. „Bereits zugelassene klassische Antidepressiva könnten helfen, die Therapie von bisher unheilbarem Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebs zu verbessern“, sagt Clavien. Gerade diese Krebsarten sind im fortgeschrittenen Stadium bisher nur schwer heilbar.

Nächster Schritt: klinische Studien

Der neue Therapieansatz soll nun als nächstes in klinischen Studien getestet werden. Der Vorteil dabei ist, dass sowohl Antidepressiva als auch die Checkpoint-Inhibitoren schon erprobt und zugelassen sind. „Da Sicherheitsprofile und Wirksamkeit bekannt sind, sollte es relativ rasch möglich sein, solche neuartigen Medikamentenkombinationen in einer klinischen Studie am Menschen zu prüfen“, erklärt Clavien. (Science Translational Medicine, 2021; doi: 10.1126/scitranslmed.abc8188)

Quelle: Universität Zürich

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